Tausendundeine Stunde
diese Vorstellung?“
„Ja“, antwortete sie knapp.
Ich erklärte ihr den Ablauf und ließ sie einige Telefonate mithören.
Nach einer Stunde sagte die Möller zu ihr: „So, Claire, der nächste Anrufer gehört Ihnen.“
„Jetzt schon?“, fragte sie erschrocken.
Es klingelte. Sie nahm den Hörer zögerlich in die Hand: „Guten Tag, Sie sprechen mit Marianne, ähh Claire. Was kann ich für Sie tun?“ Dann legte sie auf. „Der hat aufgelegt, komisch.“
„Hör mal, hast du vorhin nicht richtig zugehört? Du arbeitest nicht bei der Bank of Scotland, sondern auf einer Hotline. Komm also direkt zu Sache. Und deinen Vornamen vergiss hier ganz schnell. Du bist Claire, ich bin Rebecca. Alles klar?“
Sie nickte und wirkte etwas verschreckt. Als es erneut klingelte, nahm meine Chefin den Hörer ab und drückte ihn Claire in die Hand. Der Anrufer hatte sie wahrscheinlich gefragt, wie sie aussieht. Natürlich wollte er auch intimere Details wissen.
„Eher zierlich. Ja, also, meine Muschi ist teilrasiert. Und meine Brüstchen sind klein und fest. Gut, dann nehme ich mal deinen Penis in die Hand. Hm. Ja, mache das.“
Ich zeigte ihr demonstrativ durch meinen wippenden Daumen, dass sie die Stoppuhr drücken sollte. Aber sie war so durcheinander, dass sie meine Zeichensprache nicht verstand. Also drückte ich auf die Stoppuhr und notierte die kümmerlichen Sekunden in die Liste.
„Claire“, grollte die Möller „unsere Kunden lieben in der Regel dirty talk. Kleine schmutzige Gespräche, die sie zu Hause von ihren biederen Ehefrauen nicht zu hören bekommen. Brüstchen sind eher selten gefragt. Der Kunde soll sich doch nicht wie im Nobelrestaurant vorkommen, in welchem Hühnerbrüstchen in Mandelkruste serviert werden. Wenn der Kunde Sie nach Ihrem Aussehen befragt, so malen Sie ihm ein wunschgemäßes Bild. Große Titten, kleine Titten, feste na und so weiter. Für das Wort Muschi suchen Sie sich bitte einen anderen Begriff. Diese Dinge setzen Sie lieber recht spät im Gespräch ein, sonst kommt der Kunde zu schnell. Wenn er von Ihnen wissen will, wie Sie aussehen, fragen Sie ihn, wie er aussieht. Kommentieren Sie seine Beschreibung, bringen Sie ihm Bewunderung entgegen. Machen Sie ihm klar, dass Sie genau den Typ Mann bevorzugen. Ach ja: Penis. Das Wort Penis will ich nie wieder von Ihnen hören. Na, das werden Sie alles schon recht schnell begreifen. Unsere Rebecca hat das auch schnell begriffen. So meine Lieben, nun muss ich noch rasch in meine andere Agentur. Ich rufe morgen mal rein“, sprach sie und reichte uns zum Abschied ihre faltige Hand.
Sie war kaum gegangen, da rief ein Mann mit einer wohlklingenden Stimme an und fragte nach Lara. Im Hintergrund hörte ich Musik.
„Tut mir Leid, Lara ist erst morgen wieder zu sprechen. Soll ich etwas bestellen?“
„Nein“, antwortete er, „Sie haben auch eine sehr schöne Stimme.“
„Und Sie hören eine sehr interessante Musik. Ist das eine CD?“
„Sie mögen Saxophon?“
„Ja, und es gibt dazu auch eine Geschichte.“
„Erzählen Sie mir diese Geschichte?“
„Gern, aber nicht auf dieser Nummer.“
„Schade. Für die andere Nummer möchte ich kein Geld ausgeben. Nicht einmal für eine so interessante Stimme, wie die Ihre. Sie lassen sich nicht erweichen?“
„Ganz bestimmt nicht. Und Sie haben mir auch meine Frage nicht beantwortet. Handelt es sich um eine CD?“
„Ich verrate Ihnen den Namen der CD, wenn Sie mir Ihre Geschichte erzählen. Jetzt, auf dieser Nummer.“
„Nichts zu machen, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“ Claire stand neben mir.
„Es gibt viele Männer, die versuchen, dich über der Anmeldenummer zu einem Gespräch zu bringen. Sei vorsichtig, das hat einer Kollegin schon mal den Job gekostet.“ Sie nickte. Die restliche Schicht ließ ich sie die Gespräche führen.
Aus der Küche rief ich ihr zu: „Ich koche mir einen Tee, möchtest du auch einen?“ Ich hatte kaum den Satz beendet, da stand sie neben mir. Sie hielt mit der Hand den Telefonhörer zu und fragte was High Heels sind. „Hohe Absätze“, flüsterte ich.
Sie rollte mit den Augen und verschwand. Als ich ihr den Tee brachte, war sie außer sich.
„Na, der hat wohl nicht richtig getickt. Weißt du, was ich mit diesen hohen Absätzen machen sollte?“
Ich klopfte ihr auf die Schulter und sagte: „Erspare es mir. Du wirst dich noch an so manches gewöhnen müssen, aber es gibt auch normale Männer mit normalen Phantasien“, tröstete ich
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