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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
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Jahre jüngere Asiatin, die nun in meiner Hälfte des Bettes schlief. Und damit sie dort schlafen konnte, musste ich so schnell wie möglich raus. Ich nahm es ohne Groll zur Kenntnis. Mit dem ersten Schritt über die Schwelle meiner neuen Wohnung hatte ich die Vergangenheit hinter mich gelassen. Um das auch äußerlich zu belegen, musste nun endlich der Zopf ab.
     
    Mein langes Haar sollte einem frechen Kurzhaarschnitt weichen, und das langweilige Haselnussbraun würde ebenfalls der Vergangenheit angehören. Make-up, Mascara und Lippenstift hatten bereits ihren festen Platz in meinem Badezimmerschrank gefunden.
    Allerdings sah ich keinen Grund, mich für den Frisör schön zu machen. Ich schlüpfte in bequeme Sachen und machte mich auf den Weg zum Frisör.
    Meine neue Frisöse lächelte mir skeptisch aus dem Spiegelbild entgegen: „Sind Sie sicher, dass ich die Haare radikal kürzen soll? Sie haben eine so prächtige Länge. Manch andere Kundin beneidet Sie darum.“
    „Sie sind wahrscheinlich noch mit der Trommel um den Christbaum gelaufen, da trug ich die Haare schon so lang. Bitte abschneiden“, antwortete ich forsch.
    Sie zuckte mit der Schulter und setzte die Schere an. „Beim Farbton bleibt es dabei? Ein dunkleres Braun und helle Strähnen?“
    Ich nickte. Wenige Zeit später saß ich da mit einer dieser putzigen Hauben auf dem Kopf, daraus lugten kleine Haarbüschel hervor und warteten auf ihren Anstrich.
    „Juliane, bist du es wirklich?“
    Typisch, ausgerechnet in diesem Moment sprach mich Claudia an. Fünf Jahre hatten wir uns nicht gesehen und jetzt, wo ich aussah, als wollte ich zum Kinderfasching gehen, tauchte sie einfach auf und sprach mich an. Sie hatte die Prozedur schon hinter sich gebracht und strahlte wie ein poliertes Weihnachtsäpfelchen. Claudia hatte sich sogar für den Frisör geschminkt.
    Ich saß vor ihr, blass und ungeschminkt und sah aus, als wäre mir gerade ein Silvesterknaller unter die Haube gefahren. Es war mir peinlich und ich fühlte mich unwohl. Sie hatte ausgesprochen gute Laune, was meine verschlechterte. Und wenn sie mir gesagt hätte, dass ich gut aussehe, hätte ich sie vielleicht geohrfeigt für diese Lüge.
    Stattdessen sagte sie: „Ich hätte dich fast nicht erkannt Juliane.“ Was noch schlimmer war als zu sagen, dass ich gut aussehe, obwohl ich nicht gut aussah. Dann machte sie einen Schmollmund und fragte: „Geht es dir nicht gut?“
    „Wieso“, antwortete ich, „mir geht es prächtig. Meine Ehe geht in die Brüche, ich finde ewig keinen Job und, wie du siehst, habe ich zehn Kilo zugenommen. Ansonsten geht es mir wirklich gut.“
    Sie schmunzelte: „Na, wenigstens hast du deinen Galgenhumor nicht verloren. Du, wir suchen ganz dringend eine nette Mitarbeiterin. Wenn du Lust hast, rufe mich doch heute Abend an, dann können wir darüber reden. Jetzt muss ich leider los.“ Sie schrieb mir ihre Telefonnummer auf und verabschiedete sich.
     
    Eine Woche später hatte ich den Job. Ich war jetzt eine Frau mit dem besonderen Etwas in der Stimme. Georg und dem Rest der Familie erzählte ich, dass ich in einer Agentur beschäftigt wäre, die Bestellungen für Erotikartikel entgegennahm. Und das war schon anrüchig genug.
    Claudia, meine Bekannte und nun auch meine Kollegin, arbeitete mich zwei Tage lang ein. „Juliane“, sagte sie mir gleich am ersten Tag, „meinen Vornamen vergiss am besten ganz schnell. Ich bin Lara. Lass dir auch einen Namen einfallen. Und lass deiner Phantasie freien Lauf. Apropos Phantasie. Entführe unsere Kunden ins Reich der Sinne. Wir unterscheiden uns von vielen anderen Agenturen, die bestenfalls drei Minuten lang in den Hörer keuschen und kleine schmutzige Worte sagen. Du hast nun lange genug bei mir mitgehört, den nächsten Anruf nimmst du entgegen.“
    Das war mir gar nicht recht. Ich wollte so ein Gespräch nicht in ihrem Beisein führen. Dann klingelte das Telefon. Lara drückte mir den Hörer in die Hand. Meine Kehle fühlte sich trocken an und ich spürte ein unangenehmes Kribbeln in meinen Händen. Am liebsten hätte ich ihr den Hörer wieder zurückgegeben. Stattdessen sagte ich nun mit einer ruhigen, sanften Stimme: „Hallo, du willst ein geiles Gespräch?“
    „Schon gut, spar dir den Rest. Ich kenne die Nummer, ich brauche nur noch das heutige Kennwort.“
    „Melde dich bitte mit Lotusblüte 3“, antwortete ich. Kurz darauf klingelte es am Nebenapparat.
    „Lotusblüte 3“, sagte der Anrufer und kam gleich zur Sache:

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