Tausendundeine Stunde

wir uns sehnsuchtsvoll nach den Anfängen unserer Beziehung zurücksehnen, meinen wir, uns an Liebe zu erinnern. Dabei erinnern wir uns an den Zustand des Verliebtseins. Als ich mit Flo zusammen kam, hatte ich das Gefühl, die Welt wäre in einen Eimer mit rosaroter Farbe gefallen. Tausendundeine Stunde lang fuhren meine Hormone Achterbahn. Tausendundeine Stunde war ich trunken vor Glück. Und manchmal habe ich Sehnsucht nach jener Zeit, als die Welt pink war. Aber wie man weiß, bewirken das nur die Hormone. Da du kastriert bist, weißt du natürlich nicht, wovon ich rede.“
    Whisky spitzte aufmerksam seine Ohren.
    „Vielleicht ist es eine Unterlassungssünde von Gott, daran zu denken, dass unser Körper eben diese Glückshormone stets und ständig ausschüttet. Eine Art Fehlkonstruktion. Andererseits: Welche Frau erträgt schon ein Leben lang einen potenzstrotzenden Dauergrinser? Fakt ist nun einmal, dass es leichter ist, aus Götterspeise eine Skulptur zu meißeln, als diesen Zustand der ewigen Romantik beizubehalten. Apropos Götterspeise: Es ist Zeit, dir neues Futter zu geben.“
    Während ich den Futternapf füllte redete ich weiter auf meinen Kater ein: „Wenn es nach mir ginge, sollte jedem Paar gleich zu Beginn der Partnerschaft eine Freundin beigeordnet werden. Allerdings nur eine hässliche. Mit der kann man dann diesen ganzen emotionalen Kram stundenlang bis zur Erschöpfung durchkauen. Weißt du, was mir plötzlich klar wird? Eine Liebe wächst und nimmt ständig eine neue Qualität an.“
    Whisky saß lustvoll schmatzend vor seinem Futternapf. Ich stemmte meine Hände in die Hüften: „Hörst du mir überhaupt noch zu? Ich frage mich, ob die ständigen Liebesbezeugungen wirklich so wichtig und unerlässlich sind? Wenn uns die Männer nicht lieben würden, würden sie ihre Sachen packen und gehen. Ist es nicht viel wichtiger zu ergründen, was diese Partnerschaft jeweils beim anderen bewirkt? Ich habe durch Flo gelernt, die Dinge erst einmal abzuwägen, ehe ich eine Entscheidung treffe. Sonst war es doch so, dass ich meistens gehandelt hatte und später darüber nachdachte.
    Und Flo hatte gelernt, etwas nachgiebiger zu werden. Ich habe ihm ein Stück meiner Begeisterungsfähigkeit abgegeben und er mir ein Stück gesunder Skepsis. So, nun ist aber Schluss mit unserem Small Talk, hier gibt es noch einiges zu tun. In drei Tagen steht der Umzugswagen vor der Tür.“
    Später, wenn ich das Gefühl hatte, dass alles ein wenig zu sehr im Gleichklang verlief und nichts Aufregendes mehr passierte, rief ich meine Freundinnen an. Nele suchte noch immer ihren Traumprinzen und Caroline hatte sich endgültig von Martin getrennt. Besonders Carolines aufreibenden Storys machten mir bewusst, dass ich kurz vor meinem Verfallsdatum wahrscheinlich den letzten normalen Mann gekapert hatte.
     
     
     
     
     
     
     
     

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