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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
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den Inhalt in wenigen Minuten. Viel Zeit hatte er schließlich nicht, denn für seine Frau war er in dieser Zeit joggen. Und während Bennet damit beschäftigt war, die knapp bemessene Zeit so effizient wir möglich zu nutzen, hatte ich damit zu tun, dabei möglichst gut auszusehen. Und um gut auszusehen, konzentrierte ich mich darauf, meinen Bauch einzuziehen.
    Obwohl wir Frauen ja mühelos mehrere Tätigkeiten zur gleichen Zeit bewältigen können, gelang es mir nicht, mich auch noch auf einen Orgasmus zu konzentrieren. Den entgangenen Orgasmus hätte ich vielleicht noch verschmerzt, was mir fehlte, waren Zärtlichkeit und ein paar nette Worte. Da mir Bennet beides nicht gab, schickte ich ihn in die Wüste. Das bedauerte ich an jenem Tag, denn ich hätte gern mit ihm ein Glas Sekt getrunken und mich mit ihm gefreut, dass mir der Absprung gelungen war. Ich saß relaxt in meinem Sessel, lächelte bittersüß und überlegte, ob meine Nachfolgerin für Erwin, meinem Windelsexfetischisten, auch Kinderlieder singen würde. Die Möller, meine ehemalige Chefin, bezeichnete ihr Unternehmen als Agentur für Erotikgespräche. Aber wie ich es auch betrachtete und obwohl ich nur noch vage Erinnerungen an Sinnlichkeit hatte, wurde mir bewusst: Windelsex oder die Vorstellung, von Amazonen gejagt zu werden, entsprach nicht meiner Vorstellung von Erotik.
    Ich öffnete eine Flasche Sekt und stellte recht schnell fest, dass ich nicht in der besten körperlichen Verfassung war. Bereits nach drei Gläsern Sekt hatte ich einen ordentlichen Schwips. Ich ging ins Bad und schaute in den Spiegel. „Hey, altes Mädchen“, sagte ich, knipste das Licht vom Spiegelschrank an und erschrak. Fältchen, Hautunreinheiten, graue Haaransätze. Whisky saß neben mir, schaute zu mir hoch. Ich redete auf ihn ein: „Na, alter Stratege, dir ist das Leben recht so, was? Hast Frauchen ganz für dich allein. Für dich mag das okay sein. Ich, alter Schwede …“. Ich taumelte, fing blöde zu kichern an und suchte Halt am Rand der Badewanne. „Ich alter Schwede“, wiederholte ich mich „bin gar nicht zufrieden. Ich bin einsam. Sorry, nicht, dass ich dich nicht liebe. Aber du bist ein Kater. In meinem Bett ist es wie in meinem Kühlschrank: kalt und leer. Verstehst du? Und nur, wenn in meinem Kreislauf mehr Alkohol als Blut zirkuliert, komme ich mit meinem Leben klar. Das ist doch Mist oder?“
    Ich beschloss eine kalte Dusche zu nehmen und in der nächsten Zeit keinen Tropfen mehr anzurühren.
     
    Ich fühlte mich besser, doch noch nicht gut. Vor allem fühlte ich mich einsam. Ich suchte nach der Telefonnummer von dem Mann mit der erotischen Stimme. Ich schüttete meine Handtasche aus, fand fünf Feuerzeuge, Unmengen von Parfümproben, Lippenstifte, Tampons, Kondome (wofür eigentlich Kondome?) und endlich auch die Telefonnummer.
    Zehn Minuten lang starrte ich das Telefon an. Soll ich anrufen oder nicht? Schließlich wählte ich seine Nummer. Es klingelte eine ganze Weile. Ich wollte schon wegdrücken, doch dann meldete sich eine Stimme. „Wollinger“. Die Stimme klang barsch. Ablehnend und keinesfalls erotisch. Ich schwieg.
    „Hallo, hier ist Wollinger“, wiederholte sich die Stimme noch schroffer.
    „Entschuldigung, ist es zu spät? Sie haben schon geschlafen? Habe ich Sie geweckt? Hier ist Rebecca“, sprach ich mich mit samtiger Stimme.
    „Oh, Sie sind es?“ Seine Stimme klang jetzt weich und sanft.
    „Entschuldigung, ich habe wohl ein bisschen an der Zeit vorbei gelebt, denn ich hatte Besuch von Freunden und wir haben vielleicht ein wenig zu viel getrunken. Ich rufe besser morgen noch einmal an, Tschüss.“
    „Nein, das ist schon in Ordnung. Wie ist Ihr wirklicher Name?“
    „Judith“, log ich. „Und Sie, wie heißen Sie?“ Ehe er antworten konnte, sagte ich: „Ich habe geflunkert, mein Name ist Juliane.“
    „Ich heiße Dietrich.“
    „Hm, hallo Dietrich. Freunde nennen mich Jule. Mich hat schon lange keiner Jule gerufen. Entschuldigung, ich bin beschwipst. Es waren keine Freunde zu Besuch. Sorry, ich bin einsam, weil niemand zu Besuch kommt und weil ich nur Whisky habe und durch Zufall fiel mir Ihre Telefonnummer in die Hände. Quatsch, ich habe verzweifelt nach Ihrer Nummer gesucht. Whisky ist mein Kater. Es ist wohl besser, ich lege jetzt auf. Gute Nacht.“
    „Nein, nicht auflegen, Sie sind so süß und unverdorben.“
    „Unverdorben? Gott, das hat schon mal jemand zu mir gesagt. Das ist lange her“, sagte ich

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