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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Telefonzellen aus Ferngespräche nach Deutschland führen konnte, ohne dass einen das etwas kostete. Damit war er ins Fernsehen gekommen, und daraufhin hatte ihm eine Zeitung einen Job als Teilzeitredakteur angeboten. Also flog er nun zweimal die Woche nach Frankfurt, zu seinem Verlag, und noch am selben Abend wieder nach Hause, wo er weiter an seinen Computern herumtüftelte.
    »Willst du die mal sehen?«
    Wir hatten vor einem öden Klinkerbau gehalten. Er wohnte im zweiten Stock und die Treppen machten ihm zu schaffen. Ölige Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er schnaufte entsetzlich. Im ersten Stock stellte er die Aktentasche auf dem Boden ab und stützte sich mit beiden Händen auf die Knie.
    »Gleich«, keuchte er. »Einen Augenblick nur.«
    Der Junge war sechzehn und bereits ein völliges Wrack. Schließlich klemmte er sich seinen Koffer wieder unter den Arm und zog sich mit Hilfe des Treppengeländers in den zweiten Stock, wo er abermals ein bisschen verschnaufen musste. Er atmete so heftig, dass er den Schlüssel nicht gleich ins Schloss bekam.
    In der Wohnung war seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr tapeziert worden. Auf der Tapete waren Koggen zu sehen, abfotografierte Koggenmodelle, die auf einem muffigen bläulichen Hintergrund mit gelben Schleifen segelten.
    »Hier.«
    Er stieß eine Zimmertür auf. Was mir als Erstes auffiel, waren nicht die vier riesigen, bereits eingeschalteten Computermonitore, die sich über zwei Tische verteilten, sondern die gigantischen Süßigkeiten, die überall herumlagen. Das waren Süßigkeiten wie für Riesenkinder, Weingummitüten, die ein ganzes Kilo fassten, Schokoladentafeln im Din-A-4 Format, Keksdosen wie Waschmitteltonnen und eine dreieckige Toblerone-Packung – groß wie ein Stahlträger. Dazwischen lagen verschmierte Pizzaschachteln.
    »Mit spätestens zwanzig werde ich mir ein Haus kaufen können. Und mit spätestens fünfundzwanzig werde ich Millionär sein.«
    Ja, dachte ich, aber nur, falls dein Fettherz bis dahin durchhält.
    »Das hier«, sagte er, »ist die Zukunft, und Leute wie ich werden diese Zukunft gestalten. Wir werden es sein, auf die es ankommt.«
    Ich nickte ernst und stellte mir eine Zukunft voller Koggen-Tapeten und gigantischer Süßigkeitenberge vor. Auch dicke Jungs, die nicht mehr die Treppe heraufkamen und mit Pizza-Schachteln vor ihren Computern saßen, glaubten, sie wären etwas Besonderes. Alle glaubten das. Alle dachten, das Leben wäre ein Film und sie die Hauptdarsteller darin.
    »Es wird eine neue Art zu denken geben, und wir werden diese Art zu denken vorgeben«, schwärmte der Dicke.
    »Jemand wie ich wird in dieser Welt dann wohl überhaupt nicht mehr zurechtkommen?«, fragte ich höflich.
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte er unbarmherzig. »Bist du schon zwanzig? Dann bist du zu alt, wenn’s richtig losgeht. Die alten Leute werden sich nicht mehr umstellen können.«
    Ich ging wieder hinunter zu meinem Taxi und fuhr zurück zum Flughafen. Dort stand ich, bis eine elegante Frau mit kleinem Koffer bei mir einstieg.
38
    Ich hatte erwartet, dass Marco mich anrufen würde. Aber das tat er nicht. Ich wartete zwei Wochen, dann fuhr ich wieder hin. Ich parkte irgendwo und machte mir auch nicht mehr die Mühe, das Funkschild aus seiner Halterung zu ziehen. Die Tür des Mietshauses stand offen. Das war die letzten beiden Male auch schon so gewesen. Auf der Treppe saß ein Junkie, der sich gerade den Arm abband. Ich dachte mir, dass er wahrscheinlich lieber im Dunkeln sitzen würde. Darum stieg ich über ihn hinweg, ohne Licht zu machen. Im ersten Stock klingelte ich an Marcos Wohnung, dann trat ich zurück auf die Treppe und blieb eine Stufe tiefer stehen. Marco öffnete. Er trug ein rosa Fiorucci-Sweatshirt mit einem Panzer darauf und hatte eine graue Jogginghose an. Sie war abgeschnitten und warf dicke Faltenringe wie eine Elefantenhaut.
    »Lässt du mich herein?«, fragte ich von meiner Treppenstufe aus.
    Marco blieb im Türrahmen stehen und sah in meine Richtung. Ich war mir aber nicht sicher, ob er mich in der Dunkelheit überhaupt erkennen konnte.
    »Okay«, sagte er schließlich. Er ging vor mir in seine Wohnung, ich hörte ihn mit jemandem sprechen, und dann kam er mit einem gar nicht mal so schlecht aussehenden und ziemlich großen Mann zurück, einem dunkelhaarigen Typ, der sich im Flur die Jacke anzog und mir zunickte, als fände er es das Selbstverständlichste von der Welt, dass ich seinen kurzen Freund

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