Taxi
besuchte. Ich drückte mich schnell an ihnen vorbei und ging in das Zimmer mit dem Futon. Der Fernseher lief noch, nur der Ton war runtergedreht. Ein Planwagen mit vier Maultieren davor ratterte durch eine staubige Wüste. Ich setzte mich auf das Bett, zog meine Lederjacke aus und streifte meine Stiefel an der Bettkante ab. Dann lehnte ich mich gegen den Holzbogen, der sich über das Kopfende des Bettes spannte, und stopfte mir ein Kissen in den Rücken. Der Planwagen mit den Maultieren steckte jetzt an einem Berghang fest. Marco kam ins Zimmer und setzte sich ans Bettende, mitten vor das Fernsehbild. Er zog mir die linke Socke aus und begann meinen Fuß zu kneten. Ich schloss die Augen.
»Na, machst du wieder Pause von acht bis zehn und bist vorbeigekommen, um dich zwischendurch mal schnell durchvögeln zu lassen?«, sagte Marco, während er an meinen Zehen herumschraubte.
»Äh, ja … stimmt«, antwortete ich, machte aber vorsichtshalber lieber nicht die Augen auf.
»Wofür hältst du mich? Bin ich hier der Nutterich oder was?«
Er drückte einen Punkt an der Innenseite meiner Fußsohle, und ein klar umrissener giftiger Schmerz sauste mir das Rückenmark hoch. Ich riss die Augen auf und zog zischend Luft ein.
»Weiteratmen«, befahl Marco. Er drückte noch einmal auf diese Stelle, dann ließ er meinen Fuß los und stand auf. Ich dachte schon, er wollte mich wieder hinauswerfen, aber er kam bloß zu mir ans obere Bettende und setzte sich neben mich. Er legte eine Hand in meinen Nacken und küsste mich sanft und konzentriert. Dann stützte er sich mit seinem sommersprossigen Unterarm auf meine Rippen.
»Ist das alles? Geht es dir nur um Sex?«
»Geht es nicht immer nur um Sex? Du studierst doch Psychologie. Behauptet ihr Psychologen das nicht ständig?«
»Das behaupten nicht wir Psychologen , das behauptet – wenn du schon so grob vereinfachen willst – bloß Freud. Alfred Adler sieht das zum Beispiel ganz anders. Nach Adler sind Geltung und Macht das Hauptziel psychischer Aktivität. Darüber hat er sich ja unter anderem mit Freud zerstritten.«
»Ein kluger Mann, dieser Alfred Adler. Wenn Freud nur mal einen einzigen Monat Taxi gefahren wäre, hätte er sofort eingesehen, dass Adler recht hat. Du glaubst nicht, mit was für Idioten ich mich herumschlagen muss. Selbst wenn die mich anmachen, merkt man, dass es ihnen vor allem darum geht, mich einzuschüchtern.«
»Wieso lässt du dir das gefallen?«, fragte Marco. »Du musst dich mit solchen Menschen ja nicht streiten. Es reicht doch, wenn du ihnen einfach nur sagst, dass du ihre Bemerkungen kränkend und unangemessen findest. Ich mach das immer so.«
»Na ja, ehrlich gesagt, hab ich da ein Problem. Ich kann mir die Straßen nicht merken. Für eine Taxifahrerin ist das eine ziemliche Katastrophe. Und wenn ich gerade jemanden gebeten habe, mir den Weg zu erklären, dann bin ich ja eh schon in der Defensive, dann kann ich ja nicht so distanziert daherkommen; dann bin ich froh, wenn derjenige sich nicht beschwert oder auf mir rumhackt. Ich kann mir einfach nichts merken. Das macht es für mich auch so ungeheuer anstrengend. Manchmal denke ich, mir fehlt da was im Kopf.«
»Glaub ich nicht«, sagte Marco. »Ein auffallend schlechtes Gedächtnis ist eher ein Zeichen für eine Depression oder eine Neurose. Ein verängstigtes Ich, das vor lauter Überforderung ständig in einer Art Schockzustand verharrt, wird sich seine Umwelt kaum besonders gut einprägen können.«
»Vielleicht gehen mir ja auch bloß meine Fahrgäste so auf die Nerven, dass ich mit meinen Gedanken immer woanders bin. Ich kann die einfach nicht aushalten, der Geruch und so …«, sagte ich.
»Das ist natürlich auch möglich.«
Ich legte mein Gesicht auf Marcos Bauch. Ich musste ihn einfach umarmen. Er war so ungeheuer nett und klug. Ich hatte bislang gar nicht gewusst, dass das möglich war: ein interessantes Gespräch zu führen, ohne dabei die ganze Zeit beleidigt zu werden.
»Ich glaube, die meisten Taxifahrer sind ein wenig verschroben«, sagte ich in Marcos Bauch hinein. »Jedenfalls die richtigen. Auf den ersten Blick denkt man natürlich, Taxifahrer wären alle völlig verschieden und die alten Graupen hätten nichts mit den Turnschuhfahrern zu tun. Aber was wir alle gemeinsam haben, ist, dass wir gesellschaftlich nicht integrierbar sind. Die meisten von uns könnten gar keinen anderen Beruf ausüben. Da müssten wir uns nämlich anpassen, und das können wir nicht.«
»Man
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