Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
aufspüren. Sie müssen sich jetzt entspannen. Ich werde Ihnen Schwangerschaftsvitamine verschreiben und möchte, dass Sie jeden Tag ein Milligramm Folsäure zu sich nehmen. Ab jetzt keinen Alkohol mehr. Und ich muss Sie nicht daran erinnern, dass auch das Rauchen verboten ist.”
Taylor hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Psychosomatisch, sagte sie sich. Sie konnte nicht plötzlich unter morgendlicher Übelkeit leiden, nur weil der Arzt ihr gesagt hatte, dass sie schwanger war.
“Ich sag Ihnen doch, Doc, das kann nicht sein. Ich habe nie …”
“Es kann, und es ist”, unterbrach er sie sanft. “Und jetzt möchte ich, dass Sie einen Termin bei Ihrer Frauenärztin vereinbaren, die Sie dann über alles weitere informieren wird.” Seine Stimme war noch ruhiger geworden. “Das ist ein Geschenk, Taylor. Mit dem Schaden, der Ihrem Körper zugefügt worden ist, sollten Sie vor Freude platzen, dass es so schnell geklappt hat. Alles wird gut, das verspreche ich Ihnen. Ich muss jetzt los, aber wir hören uns bald wieder, okay?”
Er hatte aufgelegt, sobald sie ihr Okay geflüstert hatte. Sie starrte auf das Telefon, dann warf sie es quer durch den Raum, als wäre es eine Schlange, die versucht hätte, sie zu beißen. Verdammt. Es war nicht so, dass sie kein Baby haben wollte. Nur eben noch nicht jetzt. Nicht bis sie wusste, wie Baldwin zu dem Thema stand. Sie waren viel zu beschäftigt damit gewesen, das zu tun, was für die Geburt eines Kindes halt notwendig ist, um über die möglichen Konsequenzen zu sprechen. Konsequenzen. Mein Gott, sie klang wie eine Dreizehnjährige in einer Nachmittagsvorstellung. Was in drei Teufels Namen sollte sie jetzt tun?
Sie nahm ihr Handy und wählte Baldwins Nummer. Sobald sie “Wählen” gedrückt hatte, legte sie sofort wieder auf und warf das Telefon vor sich auf den Tisch.
Sie spürte die Tränen kommen und fühlte sich noch schlechter. Als Frau Mitte dreißig sollte sie sich alleine bei dem Gedanken an ein gesundes Kind riesig freuen. Beinahe alle, die sie kannte, hatten mindestens ein Kind. Und diejenigen, die keines hatten, versuchten verzweifelt, eines zu bekommen – unverfängliche Fläschchen mit dem Hormonpräparat Clomid beanspruchten plötzlich einen Platz auf dem Badezimmerregal, dazu dann fieberhafte Gebete, dass sich im Sichtfenster ein kleiner, rosafarbener Streifen zeige und die Blutungen nicht wieder beginnen mögen. Und der herzzerreißende Moment, wenn sie es doch taten. Die Hormonspritzen einmal am Tag, die man sich wie selbstverständlich in die Bauchdecke gab. Die erneuten Gebete, dass die Reifung des Follikels endlich das erwünschte Ei ausspucken würde. Die Temperaturkurven und Eisprunghilfen, müde Ehemänner, die in Plastikbecher ejakulierten, ihre Verzweiflung und Demütigung beinahe so schlimm wie die Sehnsucht ihrer Frauen nach Nachwuchs. Die künstliche Befruchtung, die schwindenden Bankkonten, alles aufgrund der verzweifelten Suche nach einem Teil von sich selbst, den man der Welt hinterlassen konnte. Die meisten dieser Frauen hatten jahrelang alles darangesetzt, eben nicht schwanger zu werden. Nur um plötzlich festzustellen, dass man unfähig war, dieses Versprechen der Weiblichkeit später noch zu erfüllen. Und das war mehr, als sie ertragen konnten.
Taylors Schuldgefühle stiegen merkbar an. Sie hatte nicht versucht, schwanger zu werden. Sie wollte nicht schwanger sein. Verdammt, Baldwin und sie lernten sich doch gerade erst kennen! Wie sollte diese fragile Verbindung ein weiteres Lebewesen verkraften? Sie hatten nie über Kinder gesprochen. Ihr Leben schien derzeit keinen Platz für diese Art von Zukunft zu haben.
Ein Klopfen an der Tür schreckte sie auf. Schnell wischte sie sich die Tränen fort, räusperte sich, strich die Haare glatt und sagte: “Herein.”
Die Tür wurde geöffnet, und die stellvertretende Bezirksstaatsanwältin Julia Page trat ein. Nach einem Blick über die Schulter schloss sie die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Sie musterte Taylor eindringlich.
“Schlechter Zeitpunkt?”
“Nein, überhaupt nicht. Ich hab nur …” Taylor zuckte mit den Schultern und ließ den Satz unvollendet. Es gab keinen Grund, sich zu rechtfertigen. Julia wäre an den Einzelheiten auch nicht interessiert gewesen.
Julia Page war eine der stellvertretenden Bezirksstaatsanwältinnen, die Davidson County repräsentierten. Äußerst klug und dabei winzig klein, sah sie eher aus wie ein für die
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