Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
schön beeindruckende Symbolik. Aber Whitney war keine Literaturexpertin.
Sie ging zurück an ihren Schreibtisch und ließ sich auf das weiche Leder ihres Stuhls fallen, was einen quietschenden Protest auslöste. Nein, Whitney hatte nicht englische Literatur studiert. Das war ihre Zwillingsschwester gewesen, Quinn. Ihre eineiige Zwillingsschwester. Ashleigh Quinn Connolly Buckley, um genau zu sein. Verheiratet mit Jonathan “Jake” Buckley III, war sie die perfekte Belle-Meade-Hausfrau. Herausragende Junior-League-Gastgeberin. Mutter der zwei anbetungswürdigsten Kinder dieser Erde, den Zwillingen Jillian und Jake Junior.
Whitney verspürte einen Funken schlechten Gewissens. Sie hatte die Zwillinge schon seit Wochen nicht mehr angerufen. Sie konnte sich zwar so weit wie möglich von ihrer Schwester fernhalten, aber die Kinder waren eine andere Sache. Quinn hätte kein größeres Gegenteil von Whitney sein können, auch wenn sie es absichtlich versucht hätte. Das hatten sie sich ihr ganzes Leben anhören müssen, vor allem seit ihren Teenagerjahren. Dadurch waren sie erst richtig in ihre unterschiedlichen Identitäten hineingewachsen.
Ihre Mutter hatte immer ihre vollen Namen benutzt, ob in Unterhaltungen, wenn sie die beiden rief oder über sie sprach. Sarah Whitney und Ashleigh Quinn sind heute zur Schule gegangen. Sarah Whitney und Ashleigh Quinn, kommt sofort herunter! Schlussendlich hatte Sarah Whitney rebelliert und darauf bestanden, einfach nur Whitney genannt zu werden. Ashleigh Quinn hatte sich ihr angeschlossen und sich für den eher esoterischen Teil ihres Namens entschieden, Quinn. Über mehrere Monate hinweg war eine Diskussion der nächsten gefolgt, doch dann hatten die Mädchen gewonnen. Sie wurden Whitney und Quinn, und gemeinsam mit ihren Namen drifteten auch ihre Persönlichkeiten auseinander.
Ein Gedanke führte zum anderen, und Whitney fiel auf, dass sie seit einiger Zeit auch schon nichts mehr von ihrem kleinen Bruder gehört hatte. Reese Connolly war die meiste Zeit so weit entfernt aus ihren Gedanken, dass sie manchmal vergaß, dass es ihn überhaupt gab. Aber genauso hatte sie es gewollt. Wer behauptete denn auch, dass Familien sich unbedingt nahestehen mussten? Um diesen kleinen Moment der Frustration niederzuringen, ging Whitney zu ihrem Edelstahlkühlschrank und griff sich eine Dose zuckerfreies Red Bull. Kaffee und noch mehr Koffein, das Geheimnis ihrer Figur. Sie nannte es spaßeshalber die Model-Diät. An die Spüle gelehnt öffnete sie die Dose und schaute aus dem Küchenfenster zu der großen Birke in ihrem Garten hinüber. Ein Kardinal-Männchen saß auf dem Vogelhäuschen und tschilpte zufrieden vor sich hin, während es aß. Zwei Eichhörnchen schrien sich gegenseitig an, während sie fangen spielten. Eine leichte Brise wehte Blätter von dem Baum auf ihre Veranda. Der wilde Wein, der den Baum immer fester umschlang, erinnerte sie an ihre Vergangenheit.
Vom Tod ihrer Eltern hatte Whitney sich nie wieder ganz erholt. In einem kurzen Augenblick waren die Geborgenheit und Stabilität, die sie ihr Leben lang gekannt hatte, fort. Die Connollys waren auf dem Rückweg von einem Abend im Tennessee Performing Arts Center; eine Fahrt, die sie schon unzählige Male unternommen hatten. In einer brutalen Kollision wurden ihr zwei liebende, temperamentvolle und glückliche Familienangehörige von einem betrunkenen Fahrer gestohlen. Auch wenn es acht Jahre her war, schmerzte sie der Verlust immer noch.
Der angespannte Frieden, den ihre Eltern zwischen den Geschwistern erzielt hatten, hatte sich nie wieder völlig erholt. Die drei Kinder teilten das Vermögen ihrer Eltern untereinander auf, aber die Kluft zwischen ihnen wurde mit jedem Jahr größer.
Whitney machte sich alleine auf, stürzte sich auf ihre Arbeit, baute sich eine Karriere auf. Es fiel an Quinn, sich um Reese zu kümmern, ihn durch das letzte Highschool-Jahr zu begleiten und ihn dann nach Vanderbilt zu bringen. Zu dem Zeitpunkt hatte Quinn schon Jake Buckley getroffen und sich ziemlich schnell und heftig auf ihn eingelassen, aber Jake war ein guter Junge. Es war kein großes Problem für ihn, zu warten, bis Quinns kleiner Bruder aus dem Haus war, bevor sie heiraten konnten. Quinns Geld würde seinen Platz in der Welt festigen.
Der unwillkommene Gedanke an Reese schlug Whitney auf den Magen. Sogar nach all diesen Jahren verabscheute sie ihn. Reese war immer ein außergewöhnliches Kind gewesen, auf so vielfältige Weise
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