Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
anzuschauen, was in dem unscheinbaren kleinen Zimmer passiert war.
Baldwin machte einen Schritt hinein und spürte die Energie, eine fühlbare Masse, die ihm beinahe den Atem nahm. Vielleicht, weil es der erste Mordschauplatz war, an dem das Mädchen nicht gewohnt hatte, strahlte dieser Tatort eine andere Kraft aus – eine tiefere Bösartigkeit. Er hoffte, dass er hier mehr über den Mörder erfahren würde, und spürte, wie er sich vor Erwartung anspannte. Viele seiner Profiler-Kollegen hielten es nicht für notwendig, sich selbst an den Ort eines Verbrechens zu begeben. Sie wollten Schlussfolgerungen über Persönlichkeiten ziehen und nicht vor Ort Ermittlungen anstellen. Baldwin hatte das schon immer anders gesehen. Er fand, dass ein Besuch am Tatort ihm einen ersten Eindruck vom Mörder verschaffte. Im gleichen Raum zu sein half ihm, auf einem viel tieferen Level zu verstehen, was passiert war. Das Blut persönlich zu sehen, den kupfernen Geschmack im Rachen zu schmecken, die Augen von Rot überfluten zu lassen, den Geruchssinn auf höchster Stufe laufen zu haben, all das gab ihm einen überwältigenden Eindruck dessen, was der Mörder zum Zeitpunkt der Tat gedacht hatte.
Er leuchtete mit der Taschenlampe durch das Zimmer und hielt den Strahl dann auf den Lichtschalter an der Tür. Er wollte nicht Gefahr laufen, mögliche Fingerabdrücke zu verwischen, also entschied er sich, das Licht nicht einzuschalten, und lieber weiter seine Maglite zu benutzen. Er lenkte den Strahl zurück zum Bett. Die Laken waren mit Blut durchtränkt. Er ließ das Licht über die Wände gleiten – Blutschleier und kleine Tropfen überall. Die Schleier, die Menge an Blut – kein Zweifel, er hatte sein Muster geändert. Christina hatte noch gelebt, als sie von ihren Händen getrennt wurde. Seine Intuition verriet ihm, dass sie tot war.
Langsam betrachtete er den Rest des Zimmers. Etwas auf dem Fernseher erregte seine Aufmerksamkeit. Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg dorthin, dann las er die Nachricht, ohne sie anzufassen.
“Halb umschloss sie mich mit ihren Armen
,
drückte mich bescheiden an sich;
und den Kopf zurücklegend schaute sie auf
,
und sah mir direkt ins Gesicht.
Es war teils Liebe und teils Angst
und teils eine schamhafte Geste
,
damit ich eher fühlte, als sah
,
wie ihr Herz sich mir öffnete.
Meine Güte, er liebt die Klassiker wirklich”, merkte Baldwin an und ließ die Nachricht in eine Plastiktüte gleiten. “Das ist von Coleridge. Es heißt ‘Liebe’.” Er blickte zu Grimes, nickte bestätigend und schaute sich in dem kleinen Zimmer nach weiteren Zeichen um. Er fand keine, also trat er vorsichtig wieder hinaus in den staubigen Hof. Den Rest würden die Kriminaltechniker übernehmen. Er hoffte, dass sie gut waren.
“Ich frage mich, ob er Gefühle für sie hegte”, wunderte sich Grimes.
“Nein, Grimes. Er hat keine Gefühle, die man mit Liebe gleichsetzen könnte. Sie ist ein Pfand in seinem Spiel. Das ist alles. Die Gedichte bedeuten ihm etwas. Ich weiß nicht, ob sie auch uns etwas sagen sollen. Lassen Sie uns diesen Raum abwickeln, wir müssen wissen, ob es irgendetwas gibt, was Christina Dale mit den anderen Mädchen verbindet.”
Sie gingen zurück auf den Parkplatz. Jones hielt in der offenen Bürotür Hof, ein paar Anwohner hatten sich auf der Veranda versammelt, um die neuesten Gerüchte mit ihm auszutauschen. Wenn Blaulichter blitzten, dauerte es nie lange, bis sich die Leute versammelten. Ein Deputy, den Baldwin vom gestrigen Fundort von Marni Fischer kannte, begann gelbes Absperrband um alles zu wickeln, was ihm half, eine Barriere zwischen der Öffentlichkeit und den Polizeibeamten zu errichten.
Als Baldwin die verschiedenen Tätigkeiten betrachtete, fuhr ein schwarzer SUV vor. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Grimes hatte es nicht komplett vermasselt und ihr eigenes forensisches Team benachrichtigt. Die hiesigen Polizisten würden nichts anfassen dürfen, nur das FBI würde sich um die Beweise kümmern. Es hatte einfach keinen Sinn, unnötig etwas zu riskieren.
Als Nächstes kamen die Hunde. Sie sprangen aus einem weißen Pick-up und wurden von einem Mann in Latzhose und mit John-Deere-Cap geführt. Zwei Bluthunde und ein Bluetick Coonhound. Gute Spürhunde.
Als die Meldung eingegangen war, dass Christina nicht zur Arbeit erschienen war, war ein Deputy vom örtlichen Sheriffbüro zu ihrer Wohnung gefahren, um nach ihr zu sehen. Als er sie nicht vorfand, hatte der
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