Taylor Jackson 03 - Judasmord
Michelle.
Taylor schaute ihr direkt in die Augen. Sie waren genauso seltsam wie Taylors; ein klares Blau, das beinahe transparent wirkte. Taylors Augen waren so Grau wie ein wolkenverhangener Himmel und eines etwas dunkler als das andere.
„Ich möchte mit jedem sprechen, der hier anwesend ist. Ich brauchefür den Anfang nur ein paar Informationen von Mrs Manchini. Bitte haben Sie noch etwas Geduld. Ich fürchte, es wird ein langer Tag. Mrs Manchini?“
Die Frau stand auf, behielt aber eine leicht gebückte Haltung bei. Sie konnte sich anscheinend nicht ganz gerade aufrichten. Sie zeigte in Richtung Flur, und Taylor folgte ihr aus dem Zimmer. Als sie die tiefe Stimme von Corinnes Vater hörte, blieb sie kurz stehen.
„Alles okay, Liebes?“
Taylor machte einen Schritt zurück in Richtung offener Wohnzimmertür, wobei sie darauf achtete, außer Sichtweite zu bleiben. Sie lauschte. Von ihrem Standort aus hatte sie einen perfekten Blick in den Raum, denn auf der anderen Seite hing ein Spiegel über dem kleinen Sekretär und zeigte ihr alles, was in dem Zimmer vor sich ging. Fitz hatte ihr den Rücken zugewandt und sprach mit Father Ross.
Michelle Harris drehte sich um und hielt sich an ihrem Vater fest. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, wie aus einem Rasensprenger in der Hitze eines Sommerabends. „Oh, Daddy. Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich jemals das Bild von Corinne vergessen kann, wie sie da voller Blut auf dem Boden liegt … und Hayden neben ihr.“
„Ich weiß, Honey. Das muss grausam gewesen sein.“ Er zog sie an sich, und Michelle ließ sich in seine Arme sinken. Taylor verspürte einen kleinen Stich der Eifersucht. Michelles Vater war ihr Retter, ihr Beschützer.
„Hast du immer noch nichts von Derek gehört?“
„Er ist bis Mittag in irgendeinem Laborkurs. Ich fahre jetzt zur Vanderbilt rüber und warte dort auf ihn. Ich will nicht, dass er es von einem Außenstehenden hört. Ich bringe ihn dann mit hierher. Kommst du eine Weile allein klar?“
„Ja, das geht schon, Daddy. Wenn ich mit den Detectives gesprochen habe, kümmere ich mich um Mom. Lass dir Zeit mit Derek. Er wird am Boden zerstört sein.“
„Ja, das ganz bestimmt. Danke für dein Verständnis. Du warst immer mein gutes Mädchen. Ich liebe dich, Shelly. Kümmere dich auch um Nicki. Sie ist nicht so stark wie du und deine Mom.“ Er drückte sie noch einmal an sich. Taylor wandte sich ab. Eine trauernde Familie. Warum hinterließ das in ihr so ein leeres Gefühl?
* * *
Mrs Manchini hatte Taylor in ihr Schlafzimmer geführt. In ihr plüschiges Schlafzimmer. Anders als der eher kühl und zurückhaltend eingerichtete Rest des Hauses wimmelte es hier nur so von handgemachtem Kitsch.
Das Schlafzimmer war klein, vielleicht halb so groß wie der Raum nebenan. Ein Himmelbett mit buntem Baldachin und rüschenbesetzten Spitzenkissen nahm einen Großteil des Platzes ein. Was für ein Klischee, dachte Taylor und schalt sich dann gleich für diesen Gedanken. Allerdings wirkte das Haus der Manchinis wirklich wie eine Karikatur seiner selbst und die Frau, die es besaß, nur wie der Schatten eines echten Menschen, irgendwie wesenlos. Carla Manchini konnte alles zwischen fünfundvierzig und fünfundsechzig sein mit der altmodischen Metallbrille, der dünnen, blonden, halb herausgewachsenen Dauerwelle und den leicht schiefen Zähnen. Ihre Eltern schienen gedacht zu haben, dass es nicht schlimm genug war, um in eine Zahnspange zu investieren. Als Folge davon blitzte nun beim Sprechen oben rechts immer ein kleiner Zahn hervor, um den sich ihre Lippen schlossen, als wenn sie nicht sicher wären, was sie damit tun sollten.
Taylor merkte, dass Carla sprach, und konzentrierte sich.
„Ich bin mir nicht sicher, was sie von mir wollen, Lieutenant. Ich kannte die Leute nebenan nicht sonderlich gut, nein, das kann man wirklich nicht sagen. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten hier im Casa Manchini , ja, das tue ich. Ich spioniere nicht, ich schaue nicht in den Garten meiner Nachbarn, wirklich, so bin ich nicht.“
Taylor schaute die Frau an und fragte sich, warum sie so unerbittlich wirkte. Sie schaute Taylor nicht in die Augen, sondern saß auf ihrem Bett und ließ den Blick durch den Raum schweifen, während sie unruhig ihre Hände knetete.
„Mich interessiert nur, Ma’am, ob Ihnen in den letzten Tagen etwas Merkwürdiges aufgefallen ist.“
Die Frau schüttelte feierlich den Kopf. „Ganz sicher
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