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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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dem modisch schlampigen Stil gezeichnet, der viele der Buchumschläge des letzten Jahres

prägte. Aber Olof Lundin hatte darauf bestanden, daß er sich als verkaufsfördernd erweisen würde. Jesper Humlin konnte sich immer noch an ein Telefongespräch erinnern, das er mit Lundin geführt hatte. Er hatte sich am Morgen vor seinem Abflug auf dem Arlanda-Flughafen befunden und sich zu einem letzten Versuch entschlossen, den Umschlag zu stoppen. - Ich verabscheue den Umschlag. Ich werde dir nie verzeihen, wenn du ihn durchgehen läßt.
    - Nur weil die Gedichte langweilig sind, muß der Umschlag es nicht sein.
    - Was meinst du damit?
    - Genau das, was ich sage.
    - Du beleidigst mich.
    - Ich meine nicht, daß die Gedichte auf eine langweilige Art langweilig sind. Ich meine, sie sind langweilig, weil sie traurig sind.
    - Dann sag das doch.
    - Ich sage es jetzt.
    - Ich verabscheue den Umschlag.
    - Es ist ein guter Umschlag.
    Hier hatte das Gespräch geendet, da Jesper Humlins Namen über den Lautsprecher des Flughafens aufgerufen wurde. In den letzten Jahren, seit er eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, sich auf den Flughäfen zu verspäten, damit sein Name ausgerufen wurde und er dadurch Aufmerksamkeit erhielt.
    Ruckartig setzte sich der Zug in Bewegung. Jesper Humlin beschloß, über die jüngste Unterredung mit Olof Lundin nachzudenken, bis er Södertälje passiert hatte. Dann würde er anfangen, sich auf die Lesung zu konzentrieren, die vor ihm lag. Eigentlich hatte er sich am Vormittag vorbereiten wollen, aber das nächtliche Gespräch mit der Mutter hatte ihn seine sämtlichen Kräfte gekostet.
    Das Handy klingelte. Es war Andrea.

- Wo bist du?
    - Auf dem Weg nach Göteborg. Hast du vergessen, daß ich heute abend dort sein muß?
    - Ich habe nichts vergessen, da du mir nicht erzählt hast, daß du nach Göteborg fährst.
    Jesper Humlin ahnte, daß sie recht haben könnte. Daher ließ er sich nicht auf eine Diskussion ein, in der er sowieso den kürzeren ziehen würde.
    - Wir reden darüber, wenn ich nach Hause komme.
    - Was hast du in Göteborg zu tun?
    - Ich werde Gedichte lesen und über meine schriftstellerische Arbeit sprechen.
    - Wenn wir uns sehen, will ich, daß wir über die Wirklichkeit sprechen. Nicht über deine Gedichte.
    Wie gewöhnlich beendete Andrea das Gespräch abrupt. Jesper Humlin dachte weiter über seine Unterredung mit Olof Lundin nach. Seine Erregung wuchs.
    Als er an Södertälje vorbei war, verbannte er alle Gedanken an Kriminalromane aus seinem Kopf und überlegte, wie er den Abend gestalten sollte. Es gefiel ihm, im Land herumzufahren und Lesungen zu halten. Viktor Leander hatte ihm an einem ihrer feuchteren Abende vorgeworfen, er sei ein eitler Schwadroneur. Besonders gern trat Jesper Humlin in Bibliotheken und Volkshochschulen auf. Zögerlicher war er bei Auftritten in Gymnasien, und richtige Angst machten ihm vor allem Schulen mit niedrigerem Niveau. Das, was ihn in Göteborg erwartete, war ihm am liebsten. Ein stiller Abend in der Bibliothek, ein konzentriertes Publikum gesetzteren Alters, das freundlich applaudierte und keine lästigen Fragen stellte.
    Er legte sich in Gedanken zurecht, welche Gedichte er lesen und unter welchem Aspekt er seine schriftstellerische Arbeit vorstellen wollte. Im Laufe der Jahre hatte er verschiedene Modelle getestet und sich schließlich für drei Varianten entschieden, zwischen denen er wechseln konnte, damit er sich

nicht langweilte und nicht allzu sehr in Routine verfiel. Das erste dieser Modelle bestand darin, daß er sich ganz einfach an die Wahrheit hielt. Er erzählte von seiner behüteten Kindheit und Jugend, wobei das eigentlich Erschreckende die Tatsache war, daß er nie das Bedürfnis verspürt hatte, sich aufzulehnen. Er war gern zur Schule gegangen, hatte sich von keiner radikalen Organisation vereinnahmen lassen, keine Drogen probiert und war nie zu abenteuerlichen Reisen aufgebrochen. Um diese unnormale Normalität herum hatte er einen Vortrag aufgebaut, der exakt einundzwanzig Minuten dauerte.
    Zur Abwechslung hatte er zwei weitere Vortragsmodelle parat. Das eine gründete sich auf reine Phantasie. Er schwindelte sich eine dramatische Jugendzeit zusammen, die in völligem Kontrast zu seinen tatsächlichen Erfahrungen stand. Da es vorgekommen war, daß frühere Mitschüler oder Jugendfreunde zu seinen Auftritten erschienen, hatte er große Sorgfalt darauf verwandt, die Phantasien so zu

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