Tea-Bag
sein normales Publikum betrachtete, applaudierten wohlwollend. Die Männer ganz vorn starrten ihn mit, wie es Jesper Humlin jetzt schien, sehr blanken Augen fortwährend an. Er legte das Buch zur Seite und setzte ein Lächeln auf, das nur notdürftig seine Angst verbarg.
- Jetzt antworte ich gern auf Fragen. Anschließend signiere ich Bücher, falls jemand Interesse hat.
Eine Frau im Publikum hob die Hand und fragte, wie er das Wort Gutmütigkeit definiere. Sie meinte es als einen Grundton der gesamten Gedichtsammlung wahrgenommen zu haben. Jesper Humlin bemerkte ein leises Murren aus der vordersten Reihe. Wieder brach ihm der Schweiß aus.
- Gutmütigkeit ist meiner Meinung nach ein schöneres Wort für Freundlichkeit.
Der Mann mit den zerschlissensten Jeans, der sich während der Lesung unruhig bewegt hatte, erhob sich so heftig, daß der Stuhl umfiel.
- Was sind das für verdammte Fragen? schrie er fast mit schriller Stimme. Ich möchte Sie, Herr Schriftsteller, fragen, was Sie mit diesen Gedichten meinen, die wir uns hier anhören mußten. Wenn Sie wollen, können Sie meine Ansicht in ein paar kurzen Worten haben.
- Gern.
- Ich verstehe nicht, wie so viel Scheiße zwischen die Deckel eines so dünnen Buches paßt. Das außerdem fast dreihundert Kronen kostet. Ich habe eine einzige Frage, auf die ich gern eine Antwort hätte.
Jesper Humlins Stimme zitterte, als er antwortete.
- Wie lautet Ihre Frage?
- Was bekommen Sie pro Wort bezahlt?
In dem Teil des Publikums, dem Jesper Humlins Auftritt gefallen hatte, erhob sich ein mißbilligendes Gemurmel. Er drehte sich rasch zu der verantwortlichen Bibliothekarin um, die schräg hinter ihm auf einem Stuhl saß.
- Was sind das für Leute in der ersten Reihe? zischte er.
- Sie sind Freigänger aus einer offenen Strafanstalt außerhalb von Göteborg.
- Was machen die hier?
Die Bibliothekarin warf ihm einen strengen Blick zu.
- Ich betrachte es als eine meiner wichtigsten Aufgaben, die Literatur an Menschen heranzuführen, die vielleicht noch nie zuvor begriffen haben, was ihnen entgangen ist. Sie ahnen nicht, wie ich dafür gekämpft habe, sie hierherzubekommen.
- Ich kann es mir ungefähr vorstellen. Aber Sie haben doch gehört, was er gefragt hat?
- Ich finde, er hat das Recht auf eine Antwort. Jesper Humlin nahm sich zusammen und sah den Mann an, der sich nicht gesetzt hatte, sondern immer noch stand und ihn fixierte wie ein wütender Freistilringer.
- Ich werde nicht pro Wort bezahlt. Poeten bekommen überhaupt einen sehr geringen Lohn für ihre Mühe.
- Das beruhigt mich.
Die Frau, die die Frage nach der Gutmütigkeit gestellt hatte, erhob sich geräuschvoll und stieß mit ihrem Stock auf den Boden.
- Ich finde es unverschämt, Fragen über Geld an Herrn Humlin zu richten. Wir sind hier, weil wir seine Gedichte hören und in aller Ruhe darüber diskutieren wollen.
Ein anderer von den Männern in der vorderen Reihe stand auf. Jesper Humlin hatte früher am Abend bemerkt, daß er kurz vorm Einschlafen war. Als er sich erhob, taumelte er. Jesper Humlin sah, daß er betrunken war.
- Ich verstehe nicht, was die Alte meint.
- Womit meint? fragte Jesper Humlin hilflos.
- Leben wir etwa nicht in einer freien Gesellschaft? Soll man etwa nicht die Fragen stellen dürfen, die man stellen will? Na schön. Aber eins will ich Ihnen sagen, ich bin derselben Meinung wie Åkesson hier. So was Beschissenes habe ich mein Lebtag nicht gelesen oder gehört.
Ein Blitzlicht flammte auf. Ohne daß es Jesper Humlin aufgefallen war, hatten während seiner Lesung ein Fotograf und ein Lokalreporter den Hörsaal betreten. Das wird einen Skandal geben, dachte Jesper Humlin entsetzt und sah die
Schlagzeilen der großen überregionalen Abendzeitungen vor sich. Wie bei anderen Schriftstellern gab es auch in seinem Inneren einen Punkt, an dem er seine eigene Begabung anzweifelte, einen Punkt, an dem alles zusammenstürzte und zu einem einzigen Schrotthaufen wurde, den ein literarischer Scharlatan fabriziert hatte. Jesper Humlin war im Begriff, an den Fotografen und den Reporter zu appellieren, daß sie das Vorgefallene nicht dokumentieren sollten. Aber noch bevor er etwas sagen konnte, bekam er überraschend Unterstützung von dem Mann namens Åkesson. Dieser hatte sofort auf das Blitzlicht reagiert und sich mit Gebrüll auf den Fotografen gestürzt.
- Wer hat Ihnen erlaubt, mich zu fotografieren, schrie er. Bloß weil man im Knast sitzt, muß man sich nicht behandeln lassen
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