Tea-Bag
sich befinden.
- Die Verbindung ist schlecht. Ich bin in Göteborg. Ich will nicht mit dir reden.
- Was machst du in Göteborg?
- Du hast zwei Lesungen für mich arrangiert.
- Das hatte ich vergessen. In der Bibliothek?
- Gestern war ich in Mölndal. Heute abend werde ich einen Ort besuchen, der Stensgården heißt.
- Wo ist das?
- Das müßtest du als Veranstalter doch wissen. Ich kann jetzt nicht sprechen. Außerdem höre ich kaum, was du sagst.
- Warum kannst du nicht sprechen? Habe ich dich geweckt? - Ich bin wach. Ich kann nicht hören, was du sagst.
- Du hörst ausgezeichnet. Das in Mölndal gestern ist gut angekommen.
Jesper Humlin schnappte heftig nach Luft.
- Woher weißt du das? Du wußtest ja nicht einmal, daß ich dort war.
- Jetzt hörst du mich auf einmal.
- Die Verbindung ist jetzt besser.
- Die Bibliothekarin hat angerufen. Sie war sehr zufrieden.
- Warum sollte sie zufrieden gewesen sein? Es wäre beinahe zu einer Schlägerei gekommen.
- Es ist sehr selten der Fall, daß eine Lyriklesung solche Reaktionen auslöst. Ich habe versucht, die Abendzeitungen für das Ereignis zu interessieren.
- Wie bitte?
- Ich habe mit den Abendzeitungen gesprochen.
- Ich will nicht, daß etwas darüber in der Presse steht, brüllte Jesper Humlin. Es waren ein paar besoffene Männer da, die herumstänkerten, meine Gedichte wären das Schlechteste, was
sie je gelesen hätten. Sie wollten wissen, was ich pro Wort bezahlt bekomme.
- Eine interessante Frage.
- Findest du?
- Ich kann es ausrechnen, wenn du willst.
- Was hätte ich davon, wenn ich das wüßte? Soll ich längere Gedichte schreiben? Ich will nicht, daß du mit irgendeiner Zeitung sprichst. Ich verbiete es dir.
- Ich kann nicht hören, was du sagst.
- Ich sage, ich will nicht, daß etwas darüber geschrieben wird!
- Ruf wieder an, wenn die Verbindung besser ist. Ich spreche mit den Abendzeitungen.
- Ich will nicht, daß du das tust. Hörst du nicht, was ich sage?
Das Gespräch wurde unterbrochen. In fassungsloser Wut starrte Jesper Humlin auf das Telefon. Als er im Verlag anrief, bekam er die Auskunft, Olof Lundin sei in einer Besprechung und erst am Nachmittag wieder anzutreffen. Jesper Humlin legte sich aufs Bett und beschloß, den Verlag mit augenblicklicher Wirkung zu verlassen. Er wollte nichts mehr mit Olof Lundin zu tun haben. Nie mehr. Wie in einer Art privater Racheaktion blieb er dann über eine Stunde im Bett liegen und dachte sich den Plot für einen Kriminalroman aus, während er sich zugleich schwor, das Buch niemals zu schreiben.
Spät am Nachmittag, als ein Regen über Göteborg niederging, nahm Jesper Humlin ein Taxi zu dem Vorort, der Stensgården hieß. Er bestand aus endlosen Reihen von tristen Hochhäusern; er dachte an die Kästen, die von den Riesen der Märchen auf einem verlassenen Feld verteilt worden waren. Auf dem windigen Marktplatz von Stensgården stieg er vor der Bibliothek aus, die zwischen Systembolaget, dem staatlichen Spirituosenladen, und McDonalds eingeklemmt lag. Wieder
hatte er einen afrikanischen Fahrer gehabt, der den Weg zielsicher gefunden hatte. Das Bibliotheksschild war beschädigt und die Außentür mit Graffiti besprüht. Jesper Humlin machte die zuständige Bibliothekarin ausfindig, dem Aussehen nach fast eine Kopie der Frau, die er am vorigen Abend in Mölndal getroffen hatte. Ohne seine Besorgnis gänzlich überspielen zu können, fragte er, ob irgendwelche speziellen Gruppen eingeladen wären.
- Was für Gruppen?
- Ich weiß nicht. Es war nur so eine Frage.
- Ich kann mir nicht vorstellen, was für Gruppen das Hin sollten. Bestenfalls kommen zehn Personen.
Bestürzt sah Jesper Humlin sie an.
- Zehn Personen?
- Das ist das übliche, wenn Lyriker uns besuchen. Wenn wir einen Kriminalschriftsteller haben, sind es natürlich mehr.
- Wie viele mehr?
- Letztes Mal waren 157 Personen da.
Jesper Humlin stellte keine weiteren Fragen. Er deponierte seine Tasche im Zimmer der Bibliothekarin und verließ anschließend die Bibliothek. Draußen auf dem trostlosen Marktplatz versuchte er erneut Olof Lundin zu erreichen, und diesmal hatte er Glück.
- Ich hoffe, du hast nicht mit den Abendzeitungen gesprochen?
- Selbstverständlich habe ich das. Aber leider sind sie offenbar nicht sonderlich interessiert.
Die Erleichterung, die Jesper Humlin verspürte, war überwältigend.
- Es wird also nichts in der Presse stehen?
- Vermutlich nicht. Aber ich habe noch nicht ganz aufgegeben.
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