Tea-Bag
die Penner vor dem Systemet das, was man als Urschweden bezeichnen könnte. Alle, die hier boxen, stammen aus anderen Ländern. Insgesamt sind es neunzehn verschiedene Nationalitäten.
- Ich vermute, die werden heute abend wohl kaum in die Bibliothek kommen, sagte Jesper Humlin und merkte zu seiner Verwunderung, daß der Gedanke ihn mutlos machte.
- Hinterher wirst du einige von ihnen treffen, sagte Pelle Törnblom aufmunternd und begann, an dem Kabel einer schmutzigen Kaffeemaschine zu zerren, die auf einem Regal stand.
- Was soll das heißen?
- Zur Lesung heute abend konnte ich sie nicht locken. Aber sie kommen anschließend zu dem Fest.
- Was für einem Fest?
- Dem Fest, das wir heute am späteren Abend für dich geben. Jesper Humlin fühlte, wie ihn erneut eine große Unruhe befiel.
- Keiner hat mir etwas von einem Fest gesagt.
- Natürlich nicht. Es sollte eine Überraschung sein.
- Das geht nicht. Ich muß zurück nach Stockholm. Die Lesung ist so gelegt worden, daß ich den letzten Flug erreiche. - Du kannst morgen früh fliegen.
- Ausgeschlossen. Andrea dreht durch.
- Wer ist das?
- Die Frau, von der es heißt, daß ich mit ihr zusammenlebe. - Ruf sie an und sag ihr, daß du bis morgen hierbleibst. Ist das so schwierig?
- Es ist unmöglich. Du kennst sie nicht.
- Nur eine Nacht?
- Auf keinen Fall.
- Eine Menge Leute werden sehr enttäuscht sein, wenn das Fest abgeblasen wird. Nicht zuletzt die ganzen Jugendlichen, die hier boxen. Die haben noch nie einen berühmten Bestsellerautor getroffen.
- Ich bin kein Bestsellerautor. Besonders berühmt bin ich wohl auch nicht.
Pelle Törnblom hatte die Kaffeemaschine in Gang bekommen. Jesper Humlin schüttelte den Kopf, als er ihm fragend eine Tasse hinhielt.
- Ich glaube, du bist keiner, der junge Einwanderer enttäuscht. Von ihren Eltern kommen auch welche.
Jesper Humlin gab auf. In Gedanken versuchte er sich eine Erklärung für Andrea zurechtzulegen, warum er unbedingt über
Nacht in Göteborg bleiben mußte. Aber ihm war klar, daß alles, was er sagte, gegen ihn verwendet werden würde.
- Ein paar Zigeuner werden aufspielen, sagte Pelle Törnblom verheißungsvoll.
Jesper Humlin antwortete nicht. Statt dessen richteten sich seine Blicke und Gedanken auf ein zerfleddertes Plakat an der Wand, das für einen Boxkampf zwischen Eddie Machen und Ingemar Johansson warb.
Zur Lesung erschienen dreizehn Personen, da einer der Aufseher in der Bibliothek blieb, obwohl er abends frei hatte. Es hätten siebzehn werden können, da ein paar Betrunkene von den Bänken vor dem Systemet hereinkommen und sich wärmen wollten. Jesper Humlin, der Andrea noch immer nicht angerufen hatte, ließ seinen Blick düster über die leeren Reihen schweifen. Doch als die angetrunkenen Personen hereingestolpert kamen, raffte er sich auf und erklärte, er weigere sich, Gedichte vor Leuten vorzutragen, die offensichtlich betrunken waren und die Bibliothek nur der Wärme wegen aufsuchten.
Gerade als er anfangen wollte, kam Pelle Törnblom in einem engen, abgetragenen Anzug an und stellte ihm seine Frau Amanda vor. Jesper Humlin verliebte sich auf der Stelle in sie. Sie hatte ein schönes Gesicht mit tiefliegenden Augen. Während der Lesung und des Vertrags richtete er seine innere Aufmerksamkeit ganz auf sie, sie war es, für die er seine Gedichte las, und niemand sonst. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Rentnern, darunter ein Mann, der laut röchelte, und in Jesper Humlins desperater Vorstellungswelt wurden daraus brausende Wogen an einem felsigen Ufer. Nach den Gedichten und dem Vortrag gab es keine Fragen. Pelle Törnblom lächelte, und Jesper Humlin wurde mißtrauisch. Er verachtet mich, dachte er. Als wir jung waren, träumten wir von einer ganz anderen Art von Literatur. Von scharfsichtigen Reportagebüchern über das Elend der Welt. Für mein Teil
wurden es Gedichte, und für sein Teil erst ein Bugsierdampfer und dann ein Boxklub.
Nachdem sich die Bibliothekarin mit einem Blumenstrauß bei Jesper Humlin bedankt hatte, einem der kleinsten, den er je erhalten hatte, beschloß er, durch eine Hintertür zu entwischen und geradewegs zum Flughafen zu fahren. Daß dies zum endgültigen Abbruch des Kontaktes zwischen ihm und Pelle Törnblom führen könnte, war ihm klar. Doch die Angst vor Andreas Reaktion wog schwerer. Als die wenigen Besucher den Saal geräumt hatten, kamen Pelle Törnblom und Amanda zu ihm hin.
- Ich habe deine Gedichte nicht verstanden, sagte Amanda
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