Tea-Bag
Augen. Er hörte, daß Pelle Törnblom hinter dem Vorhang verschwand. Indem er sich vorsichtig zurücktastete und überlegte, was an diesem Abend geschehen war, bevor sich überraschend die Dunkelheit über ihn gesenkt hatte, versuchte er, den Schmerz fernzuhalten.
Pelle Törnblom hatte hinter seinem Rücken gestanden und ihm den Rückzug abgeschnitten. Als er den Raum betreten hatte, war eine plötzliche Stille entstanden. Er hatte gefühlt, wie alle Blicke sich auf ihn richteten. Dann hatte das Gemurmel wieder eingesetzt, lauter diesmal. Während er sich seinen Weg zu dem Tisch bahnte, an dem Leyla, Tea-Bag und ein weiteres Mädchen saßen, hatte er zu vermeiden versucht, all diesen starrenden, erschreckenden Menschen in die Augen zu sehen. Dort war ein Stuhl freigehalten worden, und immer desperater dachte er, bevor er sich setzte, müßte er wissen, wie diese Situation zu meistern war.
Als er sich zu dem wartenden Stuhl durchzwängte, fiel ihm aus einem unerfindlichen Grund plötzlich sein Börsenmakler
ein. Vielleicht, weil ihn das Chaos von fern an die Bilder aus den verschiedenen Börsen im Fernsehen erinnerte. Oder war die Erklärung so einfach, daß er seit über einer Woche keinen Kontakt mit Anders Buren gehabt hatte, der sein Aktienhändler war und sich um seine Investitionen kümmerte. Einige Jahre lang hatten sie erstaunliche Gewinne erzielt. Aber jetzt schwankten seine Aktien ebenso wie alle anderen Papiere an den immer unruhiger werdenden Börsen der Welt.
Wenn ich das überlebe, muß ich ihn morgen anrufen, dachte er. Und sogleich beunruhigte ihn der Gedanke, daß genau in diesem Moment, während er sich zwischen den Stühlen durchdrängte, an einer fernen Börse etwas Dramatisches geschah, dessen Nachbeben alle seine Investitionen auslöschen würden. Als er an dem Tisch ankam, verstummte das Gemurmel. Er nickte Tea-Bag zu, aber es war Leyla, die ihre Hand ausstreckte. Tea-Bag verhielt sich irgendwie abwartend. Das dritte Mädchen saß mit abgewandtem Gesicht da.
Als er Leylas Hand ergriff, war es, als würde er einen toten, verschwitzten Fisch anfassen. Aber Fische schwitzen nicht, dachte er verwirrt. Und Mädchen müssen schwitzen dürfen, wenn sie nervös sind. Vielleicht kann ich das Bild in einer künftigen Gedichtsammlung verwenden, die ich vermutlich nie schreiben werde. Meine Zukunft besteht zur Zeit aus zwei Büchern, die niemals geschrieben werden. Eins davon wird gerade heftig lanciert.
Jesper Humlin hielt ihre Hand fest, in der Befürchtung, den Boden unter den Füßen zu verlieren, wenn er sie losließe. Er begrüßte sie freundlich. Irgendwo hinter ihm im Zimmer begann jemand zu applaudieren.
- Wie ich sehe, hast du ein paar Freundinnen mitgebracht, sagte er freundlich.
- Sie wollten mitkommen. Tea-Bag kennst du schon.
Jesper Humlin nahm ihre Hand. Als er sie zu fest drückte, zog sie sie zurück. Den Namen des dritten Mädchens konnte er
nicht verstehen. Sie gab ihm nicht die Hand. Noch immer hatte sie das Gesicht abgewandt. Er setzte sich auf den leeren Stuhl. Im selben Moment erhob sich eine Gruppe von Menschen, die ganz hinten im Raum saß, und begann sich zu dem Tisch vorzudrängen.
- Das sind meine Eltern, sagte Leyla.
- Allesamt?
- Die zwei größten da an der Seite sind mein Bruder und meine Schwester. Die beiden daneben sind meine Mutter und mein Vater.
Leyla zeigte auf sie. Jesper Humlin konnte nichts anderes erkennen, als daß alle vier gleich klein waren.
- Das ist meine Familie, sagte Leyla. Sie wollen gern guten Tag sagen.
- Ich dachte, nur dein Bruder wollte kommen, entgegnete Jesper Humlin.
- Ich habe drei Brüder. Außerdem ist meine Großmutter väterlicherseits hier. Und die beiden Schwestern meines Vaters.
Der Reihe nach begrüßte Jesper Humlin die Familienmitglieder. Sie betrachteten ihn freundlich, aber zugleich taxierend. Jesper Humlin hörte ihre Namen und vergaß sie gleich wieder. Als die Zeremonie beendet war, begann ihr lärmender Rückzug zwischen den ineinander verkeilten Stühlen. Jesper Humlin fühlte den Schweiß unter dem Hemd heruntersickern. Die Fenster waren verrammelt. Er warf einen Blick zu Pelle Törnblom hin, der wie ein Rausschmeißer an der Tür stand. Er fühlte Panik in sich aufsteigen und verfluchte die Tatsache, daß er vergessen hatte, die Schachtel mit Beruhigungstabletten mitzunehmen, die er normalerweise immer in der Tasche hatte.
- Das hier ist Tanja, sagte Leyla und zeigte auf das Mädchen, das mit abgewandtem
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