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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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uns beiden zu tun.
    - Wir reden über alles. Ich habe deine Mutter gern.
    - Gewöhnlich sagst du das Gegenteil.
    - Ich habe meine Ansicht geändert. Außerdem ist sie sehr offenherzig zu mir. Ich weiß Dinge von ihr, die du nicht für möglich halten würdest.
    - Zum Beispiel?
    Andrea schenkte die Gläser voll und lächelte geheimnisvoll. Jesper Humlin gefiel ihr Blick nicht.
    - Ich habe dich gefragt, was es ist, was ich nicht von meiner Mutter weiß.
    - Dinge, die du nicht wissen willst.
    - Ich kann nicht wissen, ob ich es nicht wissen will, bevor ich es nicht weiß.
    - Sie hat einen Job.
    Jesper Humlin starrte sie an.

- Was für einen Job?
    - Das ist es, was du nicht wissen willst.
    - Meine Mutter hat in ihrem ganzen Leben nicht gearbeitet. Sie ist in allen Kulturbereichen, die es gibt, herumgehüpft. Aber einer regelmäßigen Arbeit ist sie nie nachgegangen.
    - Jetzt hat sie eine.
    - Was macht sie?
    - Sie verkauft Telefonsex. Langsam stellte Jesper Humlin sein Weinglas ab.
    - Es gefällt mir nicht, daß du schlecht über sie redest
    - Es ist wahr.
    - Was ist wahr?
    - Sie verkauft Telefonsex.
    - Sie ist siebenundachtzig Jahre alt. Wie kannst du so etwas auch nur andeuten?
    - Ich habe sie selbst gehört. Warum sollte eine Frau, die siebenundachtzig ist, nicht Telefonsex verkaufen?
    In Jesper Humlin machte sich das nagende Gefühl breit, daß das, was Andrea sagte, wahr sein könnte. Dennoch begriff er nicht, was sie meinte.
    - Würdest du mir bitte erklären, wobei es sich bei dieser Arbeit handelt?
    - In jeder Zeitung gibt es Anzeigen mit Telefonnummern, die man für schmutzige Gespräche und für Gestöhne und Gott weiß was anrufen kann. Es war eine Freundin deiner Mutter, die darauf kam, daß es vielleicht einen Bedarf bei alten Männern gibt, die lieber zusammen mit Frauen ihres eigenen Alters stöhnen wollen.
    - Und?
    - Sie hatte recht. Dann haben sie ein Unternehmen gegründet. Sogar eine Aktiengesellschaft. Vier Frauen, von denen die jüngste dreiundachtzig ist und die älteste einundneunzig.
    Deine
    Mutter
    ist
    übrigens

Vorstandsvorsitzende. Im vergangenen Jahr haben sie nach allen Abzügen einen Gewinn von 445000 Kronen gemacht.
    - Was für Abzüge? Ich begreife nicht, wovon du redest.
    - Ich erzähle dir nur, daß deine Mutter täglich eine Anzahl von Stunden am Telefon sitzt und gegen Bezahlung stöhnt. Ich habe sie selbst gehört. Es klingt sehr überzeugend.
    - Überzeugend?
    - Daß sie sich erregt fühlt. Sei jetzt nicht dumm. Du verstehst genau, was ich meine. Wie geht es mit deinem neuen Buch voran?
    - Ich fahre nächste Woche nach Göteborg, um damit anzufangen.
    - Viel Glück.
    Andrea stand auf und begann abzuräumen. Jesper Humlin blieb sitzen. Was Andrea ihm über seine Mutter erzählt hatte, beunruhigte und empörte ihn. Im tiefsten Inneren wußte er bereits, daß das, was sie sagte, wahr war. Er hatte eine Mutter, die zu allem, aber auch zu allem imstande war.
    Als Jesper Humlin eine Woche später im Zug nach Göteborg saß, hatte er die Zeit hauptsächlich damit verbracht, die Fragen von Journalisten zu dem Kriminalroman, den er nicht schreiben würde, der jedoch im nächsten Herbst erscheinen sollte, abzuwimmeln. Außerdem hatte er einen Streit mit Viktor Leander gehabt, der ihn am Telefon beschimpft hatte, seinem besten Freund die Ideen zu klauen. Gegen die Zusicherung absoluten Stillschweigens war es Jesper Humlin schließlich gelungen, ihn davon zu überzeugen, daß kein Kriminalroman von seiner Hand erscheinen würde.
    Der Mann, den er am eifrigsten jagte, Olof Lundin, hatte sich die ganze Woche über unerreichbar gemacht. Jesper Humlin hatte ihn sogar mitten in der Nacht angerufen, ohne Erfolg. Auch mit seiner Mutter hatte er noch nicht über die skandalöse Tätigkeit gesprochen, die sie per Telefon ausübte. Aber er hatte sich dazu gezwungen, selbst herausfinden, ob jedes Wort, das

Andrea gesagt hatte, wahr war. Eines Nachmittags, als er allein zu Hause war, hatte er sich mit zwei Kognaks gestärkt und dann die Nummer gewählt, die Andrea ihm in einer Zeitung gezeigt hatte. Erst hatten sich zwei fremde Frauenstimmen gemeldet. Aber beim dritten Anruf hatte er zu seinem Entsetzen seine eigene Mutter mit schleppender Stimme zu sich sprechen hören. Er hatte den Hörer auf die Gabel geknallt, als hätte dieser ihn gebissen, und anschließend noch etliche Kognaks gekippt, um sich zu beruhigen.
    Jesper Humlin sank auf seinem Sitz zusammen und wünschte, er befände sich nicht in einem

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