Tea-Bag
lassen.
- Dann sagen wir, daß es so ist. Ich weiß nicht, was du machst. Ich weiß nicht, was du mir erzählen willst.
- Ich bin dabei, ein Buch zu schreiben.
Jesper Humlin starrte sie an.
- Was für ein Buch?
- Einen Kriminalroman.
Für einen Moment hatte Jesper Humlin das Gefühl, langsam verrückt zu werden. Das Opfer einer Verschwörung zu sein, deren ganzes Ausmaß er jetzt erst zu erkennen begann. Mit wem er auch sprach, immer war der Betreffende im Begriff, einen Kriminalroman zu schreiben.
- Freust du dich nicht?
- Warum sollte ich mich freuen?
- Darüber, daß sich deine Mutter selbst im hohen Alter ihre Kreativität bewahrt hat.
- Es scheint so, als würden heutzutage alle Menschen Kriminalromane schreiben. Außer mir.
- Wie ich den Zeitungen entnommen habe, wirst auch du einen schreiben. Aber der wird vermutlich nicht besonders gut. - Was in den Zeitungen steht, stimmt nicht. Warum sollte mein Buch nicht gut werden?
Seine Mutter legte sich wieder hin.
- Dann habe ich keine Konkurrenz von dir zu befürchten.
- In dieser Familie bin ich der Schriftsteller. Nicht du.
- In einigen Monaten wird sich das geändert haben. Ich hoffe, dir ist klar, daß das eine Sensation werden wird, wenn ich, eine siebenundachtzig Jahre alte Frau, mit einem Kriminalroman debütiere, der internationales Aufsehen erregen wird.
Jesper Humlin fühlte, wie eine Katastrophe in Höchstgeschwindigkeit auf ihn zuraste. Wenn seine eigene
Mutter sich ihm als Schriftstellerin überlegen zeigen würde, wäre seine Niederlage besiegelt.
- Von wem wird er handeln? preßte er mühsam hervor.
- Das gedenke ich nicht zu erzählen.
- Warum nicht?
- Du klaust mir nur die Idee.
- Noch nie in meinem Leben habe ich jemandem eine Idee geklaut. Tatsächlich bin ich ein Künstler, der seine Arbeit ernst nimmt. Wovon soll dein Buch handeln?
- Von einer Frau, die ihre Kinder umbringt.
- Das klingt nicht besonders originell.
- Außerdem verspeist sie sie.
Obwohl das Küchenfenster offenstand, wirkte der Essensdunst plötzlich wieder unerträglich.
- Darüber willst du ein Buch schreiben?
- Ich bin schon bei Kapitel 40.
- Es wird also ein dickes Buch?
- Ich rechne mit siebenhundert Seiten. Da Bücher heutzutage teuer sind, sollte man dicke Romane schreiben, die länger vorhalten.
- Ich hoffe, das erzählst du meinem Verleger Olof Lundin. Er ist immer aufgeschlossen für neue Ideen.
- Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Er sagte, er sähe meinem Manuskript mit Interesse entgegen. Er fing sofort an, Pläne zu machen, wie er uns als »Die Schriftstellerfamilie« präsentieren würde.
Jesper Humlin verschlug es die Sprache, auf die gleiche Weise wie früher am Tag, als Anders Buren ihn über den Stand seiner Aktien aufgeklärt hatte. Seine Mutter erhob sich, nahm das Kissen in die Hand und ging ins Wohnzimmer. Jesper Humlin blieb im Wohnzimmer sitzen. Der Boden unter den Füßen, dachte er. Jetzt ist er wieder weg. Dann sah er in kurzen, aber deutlichen Bildern Leyla, Tanja und Tea-Bag vor sich. Tea-Bag mit ihrem Lächeln, Tanja mit ihrem
abgewandten Gesicht, Leyla mit ihrem plumpen Körper. Vielleicht tue ich doch ein gutes Werk, wenn ich mich für die Geschichten dieser Mädchen interessiere.
Jesper Humlin würgte ein paar Bissen von dem scharfen javanesischen Gericht herunter, das seine Mutter vorbereitet hatte, und trank etliche Gläser Wein, um sich zu stärken. Während der Mahlzeit sprachen sie weder von dem Kriminalroman, den sie gerade schrieb, noch von dem, den Jesper Humlin nicht schreiben würde. Sie mieden in stummem Einverständnis alle Themen, die dramatische Ausbrüche verursachen konnten, da sie beide vor dem Kräftemessen, das bevorstand, eine Pause brauchten.
Jesper Humlin schob den Teller beiseite, der noch voll beladen war.
- Du hast keinen Sinn für raffinierte Gerichte.
- Ich kann nichts dafür, daß ich um Mitternacht keinen Hunger habe.
- Wenn du nicht endlich anfängst, sorgfältig zubereitete Mahlzeiten zu schätzen und dein Zusammenleben mit Andrea in Ordnung zu bringen, wird es dir schlecht ergehen.
Jesper Humlin war verblüfft, fühlte aber zugleich den notwendigen Schubs im Rücken, um loszulegen.
- Es ist nicht mein Sexualleben, über das wir sprechen sollten, sondern deins.
- Ich habe kein Sexualleben.
- Davon weiß ich nichts. Aber was ich weiß, ist, daß du dich mit absolut verwerflichen und vermutlich illegalen Telefongesprächen sexuellen Inhalts befaßt.
Sie sah ihn erstaunt und
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