Tea-Bag
Schriftsteller erweisen, verließ ihn nicht.
Am selben Abend besuchte Jesper Humlin seine Mutter. Er konnte es nicht länger aufschieben. Der Gedanke an das Gespräch, das er mit ihr führen mußte, ängstigte ihn.
Als er ihr am Telefon seinen Besuch angekündigt hatte, wurde er das Gefühl nicht los , daß sie ahnte, was er im Sinn hatte.
- Ich will nicht, daß du heute abend kommst, sagte sie abweisend.
- Du hast gesagt, ich bin immer willkommen?
- Nicht heute abend.
Jesper Humlins Argwohn war geweckt. Mit Unbehagen meinte er zu hören, daß seine Mutter einen lasziven Unterton in der Stimme hatte.
- Warum kann ich nicht heute abend kommen?
- Ich habe heute nacht geträumt, daß ich keine Besuche empfangen sollte.
- Ich muß mit dir reden.
- Worüber?
- Das werde ich dir heute abend erzählen.
- Ich will nicht, daß du kommst.
- Ausnahmsweise wird es mal so, wie ich gesagt habe. Nicht, wie du willst. Wann paßt es dir?
- Es paßt überhaupt nicht.
- Ich komme um elf.
- Nicht vor Mitternacht.
- Ich komme um halb zwölf. Keine Minute später. Als er Schlag halb zwölf durch ihre Tür trat, roch die ganze Wohnung
nach starken Gewürzen und war von einem schweren Essensdunst erfüllt.
- Was riecht hier so?
- Ich habe ein javanesisches Bambusgericht gekocht.
- Du weißt, daß ich nicht mitten in der Nacht essen möchte. Warum richtest du dich nie nach dem, was ich sage?
Seine Mutter rang nach Luft und sank zu Boden. Ein paar kurze, lähmende Sekunden lang glaubte Jesper Humlin, jetzt sei das eingetreten, was er immer befürchtet hatte, daß sie einen Herzinfarkt erlitten hatte und gestorben war. Dann erkannte er, daß sie nur einen ihrer sorgfältig eingeübten Ohnmachtsanfälle inszeniert hatte.
- Dir fehlt nichts. Warum liegst du auf dem Boden?
- Ich stehe nicht eher auf, als bis du mich um Entschuldigung gebeten hast.
- Ich habe keinen Grund, um Entschuldigung zu bitten.
- So schändlich behandelt man seine neunzigjährige Mutter nicht. Ich habe mir die Mühe gemacht, Nahrungsmittel nach Hause zu schleppen, Kochbücher zu wälzen und vier Stunden lang am Herd zu stehen. Nur weil mein Sohn mir einen unerwünschten Besuch aufzwingt.
Sie deutete auf einen Hocker, der in einer Ecke der Diele stand.
- Setz dich.
- Willst du auf dem Boden liegen bleiben?
- Ich werde nie wieder aufstehen.
Seufzend setzte sich Jesper Humlin auf den Hocker. Er wußte, daß seine Mutter tatsächlich auf dem Boden liegen bleiben würde, wenn er ihr nicht gehorchte. Die Art, wie sie ihren gefühlsmäßigen Terror betrieb, konnte sehr raffiniert sein und die Geduld auf die Probe stellen.
- Es gibt etwas, worüber ich mit dir reden möchte.
- Ich bin es, der mit dir reden möchte. Kannst du dich nicht wenigstens aufsetzen?
- Nein.
- Willst du, daß ich dir ein Kissen hole?
- Wenn du es schaffst, eine so anstrengende Aufgabe zu bewältigen.
Jesper Humlin stand auf, ging in die Küche und öffnete ein Fenster. Immer wenn seine Mutter kochte, verwandelte sich die Küche in etwas, das den blutigen Trümmern eines Schlachtfelds glich. Auf dem Weg ins Schlafzimmer blieb er am Telefon stehen und starrte es wütend an. Aus einem Impuls heraus hob er das Telefonbuch hoch. Darunter lag eine Anzeige für »Sofortkontakt mit reifen Frauen«. Nachdem er das Kissen aus dem Schlafzimmer geholt hatte, überlegte er flüchtig, ob er es nicht besser benutzen sollte, um seine Mutter zu ersticken, statt es ihr auf dem Dielenboden bequemer zu machen.
- Was wolltest du mir sagen?
- Ich wollte dich darüber informieren, womit ich mich zur Zeit beschäftige.
Jesper Humlin erstarrte. Konnte seine Mutter Gedanken lesen? Er beschloß, sofort zum Gegenangriff überzugehen.
- Ich weiß, womit du dich beschäftigst.
- Das weißt du überhaupt nicht.
- Ich bin hergekommen, um mit dir darüber zu sprechen. Dir ist natürlich klar, daß ich entrüstet bin?
Seine Mutter setzte sich auf.
- Schnüffelst du in meinen Papieren herum?
- Wenn jemand in dieser Familie in den Sachen oder Gedanken der anderen herumschnüffelt, dann du. Ich lese deine Papiere nicht.
- Dann kannst du auch nicht wissen, womit ich mich beschäftige.
Jesper Humlin versuchte, eine erträgliche Sitzhaltung auf dem Hocker zu finden, der genauso unbequem war wie der Stuhl, auf dem er früher an diesem Tag in Anders Burens scheußlichem Büro gesessen hatte. Ich werde sie schmoren
lassen, dachte er. Ich werde nichts weiter sagen, sondern sie einfach nur schmoren
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