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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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zugleich amüsiert an.
    - Jetzt klingst du wie ein Polizist. Das habe ich immer schon gewußt. Daß in dir eigentlich keine Schriftstellerseele steckt, sondern eine Polizistenseele.
    - Was, glaubst du, wird passieren, wenn das publik wird?
    - Daß du die Seele eines Polizisten hast?

Jesper Humlin schlug mit der Faust auf den Tisch.
    - Wir sprechen nicht von mir, sondern von dir. Ich habe keinen Polizisten in mir. Ich will, daß du auf der Stelle mit diesen abscheulichen Telefongesprächen aufhörst. Ich begreife nicht, wie du dich selbst ertragen kannst. Hast du keine Moral? Es ist erniedrigend und demütigend.
    - Du mußt dich nicht so schrecklich aufregen. Diese alten Männer, die anrufen, sind nett und harmlos. Viele sind interessante Persönlichkeiten. Zu meinen Stammkunden gehört auch ein Schriftsteller.
    Jesper Humlin spitzte die Ohren.
    - Wer?
    - Das werde ich selbstverständlich nicht verraten. Diese ganze Branche setzt Vertraulichkeit voraus.
    - Aber du nimmst Geld dafür? Das bedeutet, daß es Prostitution ist.
    - Ich muß meine Telefonrechnung bezahlen.
    - Wenn ich es recht verstehe, verdient ihr Geld damit.
    - Nicht sehr viel.
    - Wie viel?
    - Ich nehme vielleicht fünfzig- oder sechzigtausend Kronen im Monat ein. Für eine solche Tätigkeit bezahlt man natürlich keine Steuern.
    Jesper Humlin traute seinen Ohren nicht.
    - Du verdienst fünfzigtausend Kronen im Monat damit, daß du ins Telefon stöhnst?
    - So ungefähr.
    - Was machst du mit dem ganzen Geld?
    - Javanesische Bambusgerichte kochen. Ich kaufe Austern. Die ich meinen Kindern anbieten kann.
    - Aber das ist doch ungesetzlich! Du bezahlst keine Steuern? Für einen Augenblick wirkte seine Mutter bekümmert.

- Das Problem mit den Steuern haben wir im Vorstand diskutiert. Wir sind zu einer Lösung gekommen, die uns vertretbar erscheint.
    - Was für eine Lösung?
    - Wir haben ein gemeinsames Testament über das Vermögen der Firma gemacht. Die gesamten Einkünfte werden dem Staat vermacht. Das sollte genügen, um sämtliche fällig gewordenen Steuern zu begleichen.
    Jesper Humlin beschloß, die schärfsten Geschütze aufzufahren.
    - Wenn du und deine Freundinnen nicht sofort mit dieser Sache aufhören, werde ich eine anonyme Anzeige bei der Polizei erstatten.
    Der Wutausbruch, der jetzt folgte, traf ihn überraschend.
    - Hab ich’s doch geahnt. Jetzt kommt die Polizistenseele ans Licht. Ich will, daß du meine Wohnung verläßt und dich hier nie wieder blicken läßt. Ich streiche dich aus meinem Testament. Ich will dich nie wieder sehen. Außerdem verbiete ich dir, an meiner Beerdigung teilzunehmen.
    Als sie verstummt war, schüttete sie ihm den Inhalt ihres Weinglases direkt ins Gesicht. Es war noch nie vorgekommen, daß die Erregung, die in ihr aufflammte, einen solchen Ausdruck annahm. Er geriet aus der Fassung und sah, wie seine Mutter, anscheinend völlig beherrscht, ihr Weinglas wieder vollschenkte.
    - Wenn du nicht sofort, ohne weitere Kommentare, die Wohnung verläßt, wirst du noch mehr Wein ins Gesicht bekommen.
    - Wir müssen in Ruhe darüber sprechen.
    Diesmal landete der Wein größtenteils auf seinem Hemd. Jesper Humlin sah ein, daß die Schlacht zumindest fürs erste verloren war. Er stand auf und wischte sich das Hemd mit der Serviette ab.

- Wir müssen darüber reden, wenn ich aus Göteborg zurück bin.
    - Nie im Leben werde ich wieder mit dir reden.
    - Ich rufe dich an, wenn ich zurück bin.
    Seine Mutter erhob das Glas. Jesper Humlin verließ fluchtartig die Wohnung.
    Draußen fiel mit Schnee vermischter Regen. Natürlich war weit und breit kein Taxi in Sicht. Zwei betrunkene Finnen bettelten ihn um Zigaretten an und verfolgten ihn mehrere Blocks weit, wobei sie immer bedrohlicher wurden. Als er zu Hause ankam, war er durchgefroren und tropfnaß. Andrea schlief. Das hatte er gehofft. Um nicht am folgenden Tag peinliche Fragen beantworten zu müssen, stopfte er das Hemd mit den roten Flecken ganz unten in den Müllbeutel. Als er es in der Hand hielt, überkam ihn das Gefühl, es sei nicht Wein, sondern Blut, was auf dem Hemd war.
    Da er nach der Szene in der Wohnung der Mutter noch immer aufgewühlt war, schob er alle Gedanken an Schlaf beiseite und setzte sich statt dessen ins Arbeitszimmer, um das zweite Treffen vorzubereiten, das er in Göteborg mit den Mädchen
    und
    einer
    unbekannten
    Anzahl
    von Familienmitgliedern abhalten würde. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob Tea-Bag am Bahnhof sein würde. Das machte

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