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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wichtig. Ich glaube, ich lag drei Tage und drei Nächte in dem Boot, und ich ruderte nur wenige Male an Land, wenn ich an kleinen Dörfern vorbeikam, und kaufte für mein letztes Geld etwas zu essen. In einem der Dörfer saß in einem Geschäft, bei dem es bestimmt die billigsten Nahrungsmittel gab, ein schwarzer Mann auf einem kaputten Küchenstuhl, es war so ein Geschäft, wie ich sie immer suchte, mit der schmutzigsten Fassade und dem schäbigsten Schild. Er sah mich mit ernsten Augen an, aber als ich lächelte, lächelte er zurück. Er sagte etwas zu mir, was ich nicht verstand. Aber als ich ihm in meiner eigenen Sprache antwortete, der Sprache, die mir langsam schon fremd wurde, sprang er auf und antwortete mir mit einem Ausruf in derselben Sprache.
    - Mein Mädchen! Du kommst aus demselben Land wie ich. Was machst du hier, wohin bist du unterwegs?

Ich dachte, ich sollte vorsichtig sein. Der Mann gehörte zu meinem eigenen Volk. Aber er saß auf einem fremden Stuhl auf fremdem Boden. Vielleicht würde er mich bei der Polizei anzeigen, Schäferhunde holen und dafür sorgen, daß ich ins Gefängnis kam? Ich wußte es nicht. Aber es war, als würde ich es nicht mehr schaffen. Weder von dort wegzulaufen, noch etwas zu sagen, was nicht wahr war. Ich habe wie alle anderen Menschen gelernt zu lügen. Aber jetzt fühlte ich, daß alle Lügen sinnlos wären, sie würden in meinen Mund zurückspringen und mich ersticken. Ich entschloß mich, diesem Mann alles so zu berichten, wie es war.
    - Ich bin aus einem spanischen Flüchtlingslager entflohen.
    Er runzelte die Stirn. Ich konnte alle Furchen und Narben sehen, die er im Gesicht trug, und daß er in seinem Leben viele Gefahren und viel Kummer erlitten hatte.
    - Wie bist du hergekommen?
    - Ich bin zu Fuß gegangen.
    - Herrgott! Bist du zu Fuß von Spanien hierhergekommen?
    - Ich bin auch in einem Boot den Fluß hinuntergetrieben.
    - Wie lange warst du unterwegs?
    Als ich diese Frage gestellt bekam, wußte ich plötzlich die Antwort. Ich dachte, ich hätte die Kontrolle über die Zeit verloren. Aber vor meinem inneren Auge konnte ich plötzlich ein langes Band aus weißen Steinen sehen. Ich zählte sie.
    - Drei Monate und vier Tage. Ungläubig schüttelte er den Kopf.
    - Wie hast du das fertiggebracht? Wo hast du zu essen bekommen? Bist du die ganze Zeit allein gewesen? Wie heißt du?
    - Tea-Bag.
    Der Mann, der groß und kräftig war und schon weiße Haare hatte, beugte sich vor und sah mir in die Augen.
    - Wenn du so lange allein warst, bist du jetzt meine Tochter, jedenfalls für eine Weile. Bald kommt Monsieur le Patron, und

dann kannst du nicht hiersein, da er mit dem seltsamen Gefühlsleben des weißen Mannes gesagt hat, daß er nicht mehr als einen schwarzen Menschen auf einmal ertragen kann.
    Ich wagte ihm immer noch nicht zu trauen. Auch wenn er mir direkt in die Augen sah, sie beinahe aufriß, damit ich tief in ihn hineinsehen sollte, befand ich mich auf verbotenem Terrain, das vergaß ich nie.
    - Wie heißt du? fragte ich ihn.
    - Zacharias. Aber in deiner und meiner Sprache heiße ich Luningi.
    Der Name meines Vaters! Jetzt war ich es, die ihre Augen aufsperrte und hoffte, er könne tief darin das Dorf sehen, in dem mein Vater sein ganzes Leben verbracht hatte, bis zu dem Tag, an dem er verschleppt wurde, um nie mehr wiederzukommen.
    - Mein Vater hieß Luningi.
    - Ich habe meinen Namen von einem Onkel, der einmal in die Wüste hinausging, nachdem er einen Traum von einem Berg gehabt hatte, den er besuchen sollte. Er kam nie wieder zurück. Aber wir glauben, daß er den Berg fand, und daß dieser so schön war, daß er sich zum Bleiben entschloß. Vielleicht hackte er eine Öffnung, eine Grotte in die Bergwand und ist noch immer dort. Was weiß ich und was weißt du und was weiß irgendwer? Weißt du überhaupt, wohin du unterwegs bist?
    - Nach Schweden.
    Luningi überlegte mit gerunzelter Stirn.
    - Ist das eine Stadt? Ich habe den Namen schon mal gehört. - Ein Land. Im Norden.
    - Warum willst du dahin?
    - Jemand wartet dort auf mich.
    Lange, lange sah mich Luningi mit seinen aufgesperrten Augen an. Das Schweigen, mit dem er sich umgab, war voll von Gedanken. Die Luft in dem dunklen Laden, in dem es säuerlich nach ein paar Käselaibern auf der Theke roch,

machte mich ruhig. Der Geruch des Käses und der dunkle Mann mit den weißen Haaren waren ganz wirklich. Ich dachte daran, daß ich seit über drei Monaten mit kaum einem Menschen gesprochen hatte. Meine

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