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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Geschwindigkeit aus einem Goldberg in einen Haufen Asche verwandelten.
    - Das ist doch eine Katastrophe! Ich kaufe Aktien für 250000. Wenn ich sie heute verkaufen würde, was bekäme ich dafür?
    - Ungefähr 35000.
    Jesper Humlin stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
    - Dann habe ich also über 200000 verloren?
    - Solange du deine Aktien nicht verkaufst, hast du überhaupt nichts verloren.
    Jesper Humlin bekam Herzklopfen.
    - Sie müssen doch wieder steigen?
    - Natürlich.
    - Wann?
    - Mit großer Wahrscheinlichkeit bald.
    - Wie kannst du das wissen? Wann?
    - White Vision ist ein gut geführtes Unternehmen. Wenn es nicht Konkurs macht, wird es vermutlich in den kommenden Jahren stark anwachsen.
    - Konkurs?
    - In diesem Fall verrechnen wir deine Verluste mit den Gewinnen, die du bei anderen Unternehmen gemacht hast.
    - Aber ich besitze doch keine anderen Aktien! Anders Buren betrachtete ihn mit einem Blick, der ebenso bekümmert wie streng zurechtweisend war.
    - Das habe ich dir schon lange zu sagen versucht. Daß du mehr Aktien kaufen sollst. Um deine Verluste zu verrechnen.
    - Ich habe doch kein Geld!
    - Du kannst Kredite aufnehmen.

- Soll ich mich verschulden, um Aktien zu kaufen, die mit Gewinn laufen sollen, damit ich die Aktien verrechnen kann, die mit Verlust laufen?
    Jesper Humlin fühlte sich völlig am Boden. Er hatte die größte Lust, dem pickligen jungen Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs eine Tracht Prügel zu verpassen.
    - Jetzt gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren.
    - Ich habe Magenschmerzen.
    - Die Börse wird sich erholen. Deine Aktien sind günstig und fair bewertet. Das Unternehmen hat angesichts der Liquiditätsprobleme eine Gewinnwarnung ausgesprochen. Aber das kann sich wieder ändern. Wie geht es mit deinen Gedichten?
    - Sie haben jedenfalls nicht auf die gleiche Weise an Wert verloren wie meine Aktien.
    Anders Buren beugte sich über den Schreibtisch vor.
    - Ich sollte dir vielleicht erzählen, daß wir bald Kollegen werden.
    - Ich werde mich nie mit Aktien befassen.
    - Das habe ich nicht gemeint. Ich bin dabei, ein Buch zu schreiben.
    In einem schwindelnden Augenblick sah Jesper Humlin vor sich, wie Anders Buren ein Buch schrieb, das augenblicklich in den Himmel gehoben wurde, während er selbst endgültig in die hinterste Reihe verdrängt wurde.
    - Wovon soll es handeln?
    - Es ist ein Kriminalroman. Über den gnadenlosen Börsenmarkt.
    - Hast du an ein Selbstporträt gedacht?
    - Aber nein. Der Mörder ist eine Frau. Eine rücksichtslose Börsenmaklerin, die ihren Kunden nicht nur finanziell das Fell über die Ohren zieht.
    - Was macht sie sonst noch?

- Sie zieht ihnen buchstäblich die Haut vom Leib. Ich rechne damit, daß das Buch in etwa einem Monat fertig ist.
    Jesper Humlin fühlte sich plötzlich zutiefst davon, gekränkt, daß ein Mann wie Anders Buren die Kunst des Schreibens offenbar als etwas betrachtete, das er ohne weiteres beherrschte. In ihm regte sich Protest. Aber er sagte natürlich nichts.
    Erneut warf Anders Buren einen Blick auf den Monitor.
    - Sie bleiben jetzt konstant. Günstig und fair. 17 Kronen.
    - Vor fünf Minuten standen sie doch noch bei über 19?
    - Das sind marginale Bewegungen. Du hast sie für 120 gekauft. Ob sie bei 19 oder 17 stehen, spielt kaum eine Rolle.
    Jesper Humlin hätte am liebsten losgeheult.
    - Was rätst du mir?
    - Die Ruhe zu bewahren.
    - Sonst nichts?
    - Ich verspreche, daß ich mich melde, wenn es aufwärts geht. - Wie lange wird das dauern?
    - Nicht lange.
    - Wie lange?
    - Ein paar Wochen. Höchstens zehn Jahre. Jesper Humlin starrte ihn an. Von irgendwoher ertönte der Gesang von Franziskanermönchen. Anscheinend hatte Buren unbemerkt ein Tonband angestellt. Die Musik schwoll zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen in seinem Kopf an.
    - Zehn Jahre?
    - Allerhöchstens. Auf keinen Fall länger. Anders Buren stand auf.
    - Jetzt muß ich gehen. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich schicke dir eine Kopie des Manuskripts, sobald es fertig ist. Ich möchte gern deine Meinung hören.
    Auf der Straße blieb Jesper Humlin stehen. Er suchte in seinem Kopf nach einem beruhigenden Gedanken, aber er fand keinen, bis er Tea-Bags Lächeln vor sich sah. Da konnte er sich

wieder bewegen, befreit von der Kälte, die ihm aus dem dunklen Büro von Anders Buren gefolgt war. Er dachte, er sollte vielleicht doch einen Kriminalroman schreiben, allein schon um Geld zu verdienen. Die Sorge, Anders Buren könnte sich als ein talentierter

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