Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
nächste Schritt wäre, daß der Irrsinn auch aus meinen Augen zu leuchten begänne. Aber noch war ich ja nicht in das Land gekommen, von dem ich wußte, daß ich dort willkommen sein würde. Wieder befand ich mich in einem Schiff unterwegs zu einem unbekannten Ufer.
    Wie lange ich brauchte, um Dänemark zu durchqueren, weiß ich nicht. Aber eines Tages war ich an einem Strand mit grauen Steinen angelangt, einem Strand, der nach fauligem Tang roch, und auf der anderen Seite des Sunds konnte ich Schweden sehen. Große Teile des Wegs legte ich mit dem Fahrrad zurück. Die Fahrräder stahl ich nachts, wenn ich wie ein einsamer Hund in menschenleeren Stadtteilen und Vororten herumstrich. Das Radfahren hatte ich von einem Cousin

meiner Mutter gelernt, er hieß Baba, hatte lange in Städten gelebt und beherrschte verschiedene Kunststücke. Als er in unser Dorf zurückkehrte, hatte er ein altes Rad dabei, und er brachte mir bei, wie man darauf fährt.
    Endlich war ich an die letzte Grenze gelangt. Als ich dort am Strand stand, erlebte ich zum ersten Mal in meinem Leben Schnee. Er begann zu fallen wie eine Decke, die sich langsam auf den harten Sand senkte. Erst dachte ich, mit meinen Augen würde etwas nicht stimmen. Dann begriff ich, daß es das gefrorene Wasser war, das auf meinen Kopf herabfiel, wie weiße Blumen aus einem eiskalten Garten, der irgendwo da oben zwischen den Wolken lag. Ich stand regungslos da und schaute zu, wie meine Jacke weiß wurde …«
    Dort, am Strand südlich von Helsingör, wurde die Erzählung Jesper Humlin zum zweiten Mal aus den Händen gerissen. Tea- Bag hatte das alles mit einer Art beherrschtem Eifer erzählt, war aber immer wieder für einige Augenblicke in Schweigen versunken. An dem dänischen Strand angekommen, hatte sie sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen, als würde ihr das Erzählen eine allzu große Anstrengung bereiten. Jesper Humlin hatte ebenfalls die Augen geschlossen, und als er sie wieder aufschlug, hatte der Zug in Hallsberg gehalten und ihr Platz war leer gewesen.
    Der Zug hatte den Bahnhof schon verlassen, als er sich Gedanken über ihren Verbleib zu machen begann. Da er einen Moment lang eingeschlummert war, hatte er angenommen, sie sei auf die Toilette gegangen. Aber die Verriegelungen an den Türen zeigten grün, ebenso im nächsten Wagen, als er dort nachsehen ging. Er suchte den ganzen Zug ab, blieb vor besetzten Toiletten stehen und kontrollierte, wer herauskam. Aber Tea-Bag war und blieb verschwunden. Als er im Hauptbahnhof auf sie gewartet und gedacht hatte, sie würde nicht kommen, hatte ihn eine plötzliche Niedergeschlagenheit

befallen. Jetzt, wo sie bei dem kurzen Aufenthalt in Hallsberg verschwunden war, verspürte er nichts als Sorge. Es war, als hätte er zum zweiten Mal angefangen, ein Buch zu lesen, hätte sich davon fesseln lassen, und dann hätte ein unsichtbares Wesen es ihm aus den Händen gerissen. Es war ihm völlig unbegreiflich, wieso sie sich aus dem Staub gemacht hatte. Kein erkennbares Zeichen hatte darauf hingedeutet, daß etwas nicht so war, wie es sein sollte. Aber es muß etwas gegeben haben, dachte er, obwohl ich es nicht bemerkt habe.
    Etwas nördlich von Herrljunga blieb der Zug auf offener Strecke stehen. Nach einer halben Stunde fragte Jesper Humlin den Schaffner gereizt, was los sei.
    - Warum halten wir?
    - Stromausfall.
    - Warum werden wir nicht darüber informiert?
    - Das werden Sie hiermit. Wir halten, weil es einen Stromausfall gibt.
    - Und wie lange werden wir hier noch stehen?
    - In Kürze sind wir wieder unterwegs.
    Jesper Humlin versuchte Pelle Törnblom auf seinem Handy anzurufen. Aber natürlich war der Strom ausgerechnet an einer Stelle ausgefallen, wo das Mobiltelefon kein Netz hatte.
    Nach einer Stunde kam der Schaffner wieder vorbei.
    - Ich dachte, Sie sagten, in Kürze seien wir wieder unterwegs?
    - Wir fahren in Bälde.
    - Wie bald?
    - In ein paar Minuten.
    - Wir haben bereits eine Stunde Verspätung.
    - Der Lokführer meint, daß er zehn Minuten aufholen kann. - Dann sind wir immer noch fünfzig Minuten verspätet.
    - Es ist, wie es ist. Aber jetzt werden wir bald losfahren.
    Der Zug blieb drei Stunden auf offener Strecke stehen. Dann kam über Lautsprecher der Bescheid, daß sie mit dem Bus nach

Göteborg weiterfahren müßten. Mittlerweile befand sich Jesper Humlin am Rande eines Nervenzusammenbruchs, erstens aus Sorge um Tea-Bag, zum anderen wegen der Tatsache, daß er an diesem Abend nicht zu seinem

Weitere Kostenlose Bücher