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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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bleiben, die Selbstmordversuche unternehmen, um bleiben zu können, aber trotzdem ausgewiesen werden.
    - Es ist ein Problem, daß die schwedischen Behörden nicht verstanden haben, welche Spielregeln gelten. Wir haben versucht, ihnen beizubringen, wie Flüchtlinge denken. Aber sie hören oft nicht richtig zu.
    Plötzlich fühlte Jesper Humlin sich konservativ empört und sah ein Schweden mit total unbewachten Grenzen vor sich, wo Horden von Menschen fröhlich miteinander plaudernd ins Land einwanderten.

- Hört sich interessant an. Ich dachte, es wären unsere Behörden, die die Regeln für die Einwanderung festsetzen. Nicht die Flüchtlinge.
    - Das wäre nun doch eine sehr undemokratische Art, eine so wichtige Frage zu behandeln. Die Flüchtlinge wissen schließlich sehr viel mehr über ihre Situation als die verschiedenen Behörden, in denen keiner von den Beamten die Erfahrung gemacht hat, in einem Container eingesperrt durch Europa zu reisen.
    Schweigend bedachte Jesper Humlin die Informationen, die er erhalten hatte, nicht nur über die Vorstellungen des Taxifahrers von der Einwanderung nach Schweden, sondern auch über die Gründe, die das Mädchen namens Leyla veranlaßt hatten, schreiben lernen zu wollen. Aber er hatte das Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Waren es wirklich nur äußerliche Motive, die sie antrieben? Gab es keine anderen Gründe dafür, daß sie versuchte, die Kunst zu erlernen, mit Worten persönliche Erzählungen zu gestalten? Jesper Humlin fiel es schwer zu glauben, daß es in Wahrheit nur ums Geld ging und um ein Schlankheitsinstitut mit einer großen Anzahl von iranischen Verwandten als Teilhaber.
    Vor dem dunklen Eingang zum Boxklub bremste das Taxi.
    - Die sind bestimmt schon nach Hause gegangen. Es ist halb zwölf.
    Jesper Humlin beugte sich vor, um zu zahlen. Noch immer wußte er nicht, warum er es sich anders überlegt hatte und hierher gefahren war. Außerdem fehlte ihm ein Telefon, um ein Taxi zu bestellen, wenn er hier wieder weg wollte. Ich weiß nicht mehr, warum ich tue, was ich tue, dachte er erschöpft. Es ist wieder der feste Boden, der feste Boden, der verschwunden ist. Das Beste für mich wäre, wieder zurück ins Hotel zu fahren. Trotzdem beharre ich darauf, hier auszusteigen.
    - Sind Sie sicher, daß ich Sie hier absetzen soll?
    - Ja, das bin ich.

Jesper Humlin stieg aus dem Wagen und sah ihn nach einem schlitternden Kavalierstart im Schneematsch davonfahren. Was zur Hölle mache ich hier? dachte er. Wütend rüttelte er an der Tür, die natürlich verschlossen war. Dann schrak er zusammen und drehte sich um. Aus dem Schatten kam ein Mensch auf ihn zu. Jetzt werde ich ausgeraubt, dachte er. Ich werde ausgeraubt und niedergestochen, und vielleicht sterbe ich hier im Schneeregen. Dann sah er, daß es Tanja war, die da stand. Ihre langen Haare waren durchnäßt. Sie fror so, daß sie zitterte. Aber zum ersten Mal hatte sie den Blick nicht auf ein unergründliches Ziel an einem fernen Horizont gerichtet. Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen. Und sie lächelte. Jesper Humlin begriff plötzlich, daß sie da gestanden und auf ihn gewartet hatte. Als alle anderen die Hoffnung aufgegeben hatten, daß er noch kommen würde, war Tanja in der Nässe und Dunkelheit stehen geblieben.
    - Tut mir leid, daß ich so spät komme. Aber der Zug hatte eine Störung. Außerdem ist Tea-Bag aus dem Zug verschwunden. Weißt du, wo sie wohnt?
    Sie antwortete nicht. Versteht sie, was ich sage? dachte er. Ein bißchen Schwedisch muß sie doch immerhin verstehen. Oder ist es so, daß sie nicht über Tea-Bag reden will?
    - Es ist zugeschlossen, sagte er. Wir kommen nicht hinein. Alle sind schon nach Hause gegangen. Das verstehe ich durchaus, da ich so spät komme.
    Im nächsten Moment erkannte Jesper Humlin, daß sie sehr wohl verstand, was er sagte. Sie zog einen Schlüsselbund aus der Jackentasche, klemmte sich eine kleine Taschenlampe zwischen die Zähne und begann, Pelle Törnbloms Schloß mit einem Dietrich zu bearbeiten. Als sie keinen Erfolg hatte, holte sie ein Brecheisen hervor, das sie in ihrem Stiefel stecken hatte, fuhr am Türrahmen entlang, setzte das Brecheisen an und stemmte die Tür auf. Bevor Jesper Humlin zum Protest

ansetzen konnte, hatte sie ihn in den dunklen Flur gezogen und die aufgebrochene Tür hinter ihnen zugeschoben.
    - Das ist doch ein Einbruch?
    Tanja antwortete nicht. Sie war schon unterwegs zu dem Raum mit den verrammelten Fenstern. Das Licht der

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