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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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einer Wohnung, die einer türkischen Familie gehört. Hier wohnt, wenigstens zur Zeit, außerdem ein Mädchen, das es nicht gibt, das sich in den Höhlen versteckt, die sich ihm bieten, hinter verschiedenen Identitäten. Ein Mädchen, das vielleicht Tanja heißt und überlebt, indem es Einbrüche oder Taschendiebstähle begeht.
    Vorsichtig durchsuchte er die Schubladen der Familie Yüksel nach Papier und Bleistift. So viel war in der letzten Woche passiert, daß er sich Notizen machen mußte, wollte er nicht die Kontrolle über all diese Eindrücke verlieren. Er fand einen Schreibblock und einen Bleistift, setzte sich an den Küchentisch und fing an, seine Eindrücke zu notieren. Dann dachte er, er sollte besser Andrea Bescheid sagen, daß er wirklich die Absicht hatte, an diesem Abend nach Hause zu kommen, auch wenn es spät werden würde. Er sprach eine Nachricht auf ihren Anrufbeantworter, ohne daß es ihm unangenehm war, ein gestohlenes Mobiltelefon zu benutzen. Bevor er sich wieder den Notizen zuwandte, rief er noch seinen Börsenmakler an.
    - Buren.
    - Wie kommt es, daß du dich seit neuestem plötzlich meldest, wenn ich anrufe?
    - Hast du die Telefonnummer gewechselt? Ich dachte, es wäre jemand anderes.
    Jesper Humlin wurde hellhörig.
    - Wenn du gesehen hättest, daß ich der Anrufer bin, wärst du also nicht drangegangen? Ich dachte, ich gehöre zu deinen Kunden?
    - Selbstverständlich.

- Es scheint nicht so. Ich rufe von einem guten Freund aus an. Du mußt die Nummer nicht speichern. Ich werde dieses Telefon nie wieder benutzen.
    - Ich registriere alle Nummern. Sie gehen automatisch in den Speicher meines PC’s. Was wolltest du fragen?
    - Ich will nicht, daß du diese Nummer speicherst. Hörst du nicht, was ich sage?
    - Ich höre, was du sagst. Was willst du?
    - Ich will wissen, wie meine Aktien stehen.
    - Wenn wir keinen Abschwung bekommen, glaube ich ganz bestimmt, daß wir mit einem Aufschwung rechnen können.
    - Ich will, daß du ganz ehrlich auf eine Frage antwortest. Werde ich das Geld jemals wiederbekommen, das ich an der Börse investiert habe?
    - Zu gegebener Zeit.
    - »Zu gegebener Zeit«? Wie lang ist das?
    - Innerhalb von fünf bis zehn Jahren. Ich habe übrigens gerade mit dem Mittelteil meines Romans angefangen.
    - Ich interessiere mich nicht für deinen Roman. Ich interessiere mich für meine Aktien. Du hast mich irregeführt.
    - Es bedeutet immer ein Risiko, wenn man seine Gier überhandnehmen läßt.
    - Du warst es, der mich daran gehindert hat zu verkaufen.
    - Es ist meine Pflicht, dich nach bestem Wissen zu beraten.
    Jesper Humlin merkte, daß er dabei war, sich von Anders Burens ausweichenden Bemerkungen einwickeln zu lassen. Er beendete das Gespräch ohne weitere Kommentare. Anders Buren bietet selbst den Stoff für einen großen Roman, dachte er erbost. Der Abstand zwischen seiner Welt und diesen Mädchen in Stensgården ist wie ein expandierendes Universum. Die Entfernung wächst mit jeder Minute. Wenn ich sie zusammenbringen würde, worüber könnten sie miteinander reden, angesichts ihrer getrennten Welten?

Er beugte sich über seine angefangenen Notizen. Es kratzte an der Wohnungstür. Er hielt den Atem an und fühlte sein Herz laut in der Brust schlagen. Die Familie Yüksel, dachte er. Eine Woche zu früh. Gleich wird eine große türkische Familie hier hereinströmen und fragen, wer da an ihrem Küchentisch sitzt.
    Es war Tanja. Fragend blickte sie ihn an. Sie sieht meine Angst, dachte Jesper Humlin. Wenn sie etwas zu erraten versteht, ist es die Unsicherheit der Menschen, da sie selbst immerzu in Unsicherheit lebt. Tanja leerte ihren Rucksack.
    Außer den Tannenzapfen, Schnullern und Miniaturikonen war er mit Handys vollgestopft. Sieben Stück lagen vor ihm auf dem Tisch.
    - Du kannst dir eins aussuchen.
    - Wo hast du die gestohlen?
    - Im Polizeipräsidium.
    Jesper Humlin starrte sie an.
    - Im Polizeipräsidium?
    - Es gefiel mir nicht, heute nacht da eingesperrt zu sein. Ich hatte das Bedürfnis, mich zu rächen. Ich bin noch mal hingegangen und habe ein paar Handys eingesteckt.
    - Sind das die Mobiltelefone von Polizisten?
    - Nur von Hauptkommissaren. Und von einem Staatsanwalt. Nimm sie alle. Wenn wir Glück haben, werden nicht alle heute schon gesperrt.
    - Ich will keine Mobiltelefone, die du gestohlen hast. Schon gar nicht von Polizisten.
    Er merkte, daß sie für einen kurzen Moment verletzt war. Dann erschien wieder das gefährliche Glitzern in ihren Augen. Bevor er

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