Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
etwas sagen konnte, drückte sie ihm eins von den Handys in die Hand.
    - Nimm das. Geh dran, wenn es klingelt.
    - Kommt nicht in Frage. Wie soll ich erklären, wer ich bin? - Tu, was ich sage. Wenn du wirklich wissen willst, wer ich bin.

Sie verließ die Küche. Die Wohnungstür glitt leise ins Schloß. Kurz darauf klingelte das Telefon. Er zögerte, bevor er sich meldete. Es war Tanja.
    - Hier ist Irina.
    - Warum sagst du, daß du Irina heißt? Wo bist du?
    - Du kannst mich von den Wohnzimmerfenstern aus sehen.
    Er trat an die Fensterfront. Tanja stand wie ein kleiner Punkt draußen auf dem Lehmacker, der einen Rasen darstellen sollte. - Ich sehe dich. Warum sollen wir uns am Telefon unterhalten?
    - Weil das für mich beruhigender ist.
    - Warum sagst du, daß du Irina heißt?
    - Weil das mein Name ist.
    - Wer ist dann Tanja? Und Natalia, Tatjana und Inez?
    - Ich versuche sie mir als meine Künstlernamen vorzustellen. - Schauspieler haben Künstlernamen. Taschendiebe nicht.
    - Machst du dich über mich lustig?
    - Ich bemühe mich nur zu verstehen, wieso du so viele Namen hast.
    - Wie soll man in dieser Welt zurechtkommen, wenn man nicht bereit ist, etwas zu opfern? Wie zum Beispiel seinen Namen?
    - Ich weiß immer noch nicht, welches dein richtiger Name ist.
    - Weißt du, wie ich nach Schweden kam?
    Die Frage überraschte ihn. Ihre Stimme klang plötzlich anders, nicht so hart und unzugänglich wie bisher.
    - Nein, das weiß ich nicht.
    - Ich bin gerudert.
    - Was meinst du damit?
    - Kann ich so viele verschiedene Sachen meinen? Ich bin nach Schweden gerudert.
    - Von wo?
    - Tallinn.

- Du bist von Estland nach Schweden gerudert? Das kann nicht sein!
    »Ich bin hergekommen, nicht wahr? Ich mußte rudern. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich hätte mich nicht getraut zu versuchen, durch die Paßkontrolle an der Fähre von Tallinn nach Schweden zu kommen, als ich den Leuten entfloh, die mich gefangenhielten. Ich ging einfach drauflos und kam zu einem kleinen Fischereihafen. Da lag ein Ruderboot. Ich wußte, daß ich aus dieser Stadt verschwinden mußte, sonst würde ich sterben. Ich setzte mich in das Ruderboot und machte mich davon. Es war windstill, es gab nur schwache Dünungen. Natürlich wußte ich nicht, wie weit es war. Ich ruderte die ganze Nacht, bis mein Rücken fast entzweiging. Alles, was ich dabeihatte, waren Wasser und ein paar Butterbrote. Als der Morgen dämmerte, war ich ganz von Meer umgeben. Ich wußte nicht einmal, in welche Richtung ich rudern sollte. Aber ich versuchte, dem Lauf der Sonne zu folgen, die ganze Zeit ruderte ich nach Westen. Ich ruderte direkt in den Sonnenuntergang hinein.
    In der zweiten Nacht sah ich in der Ferne ein Passagierschiff. Ich dachte, es ist unterwegs nach Schweden, dieses Licht, das sich übers Meer bewegte. Ich ruderte weiter. Mein Rücken und meine Arme waren wie gelähmt. Aber ich ruderte, um die Panik zu bezwingen. Ich ruderte, um der Hölle zu entkommen, in der ich gelebt hatte, seit ich Smolensk verließ. Noch immer fiel es mir schwer, an das zu denken, was vorher geschehen war. All das, was viel schlimmer war, als die schwedische Polizei am Hals zu haben. Nur wenn ich es in ein Märchen verwandle, das von jemand anders als mir selbst handelt, kann ich daran denken. Und ich kann immer noch diesen Mann vor mir sehen, ihn, den ich in Smolensk traf und der mir versprach, daß ich eine viel bessere Zukunft haben würde, wenn ich nach Tallinn käme und als Bedienung in dem

Restaurant seiner Freunde arbeitete. Jeden Morgen nach dem Aufwachen spreche ich ein Gebet, er möge tot sein, die Erde möge leichter geworden sein, ohne die Last, die jeder böse Mann bedeutet.
    In der zweiten Nacht fing es an zu wehen, ob es Sturm war oder nicht, weiß ich nicht, aber ich mußte unentwegt Wasser aus diesem Ruderboot schöpfen, es dauerte zwei Tage und Nächte, ich erinnere mich an nichts anderes, als daß ich fror und Wasser schöpfte. Mehrmals verlor ich das Bewußtsein. Aber ich hatte mir die Ruder mit meinem Gürtel an den Leib gebunden, denn ohne die Ruder würde ich nie ankommen. Ich liebte diese Ruder, sie waren es, die mich am Leben hielten, weniger das Boot als eben die Ruder. Ich denke manchmal, wenn ich eines Tages einen Tempel bauen würde, dann würde es vorn am Altar zwei Ruder geben, ich würde eine ganz eigene Religion gründen, bei der man ein paar alte Ruder anbetet, die nach Teer riechen.
    Ich glaube, es dauerte vier Tage und Nächte, nach Schweden zu rudern.

Weitere Kostenlose Bücher