Tea-Bag
Vorabend mit dem Bus nach Göteborg gekommen war, traten jetzt klar und deutlich zutage. Am liebsten wäre er wieder in den Schlaf eingetaucht, in dem fremden Bett in der ebenso fremden Wohnung in einem der Hochhäuser von Stensgården, um alles zu vergessen. Aber er wußte, der Versuch wäre zwecklos.
Auf leisen Sohlen ging er in die Küche und trank Wasser. Dann durchsuchte er die Wohnung nach persönlichen Habseligkeiten von Tanja. Immerhin hatte sie behauptet, es sei ihr Zuhause, auch wenn sie nur vorübergehend und in größter Heimlichkeit dort wohnte. Er fand keine Zeichen oder Spuren von ihr. In einem der Küchenschränke, inmitten einer Batterie ihm unbekannter Gewürze, stand eine Kaffeedose einer Marke, die er kannte. Er setzte Wasser auf, vermied es, mit dem Topf zu klappern, um nicht die Aufmerksamkeit der Nachbarn zu erregen, und ließ sich dann in einem Sessel vor einem Fenster im Wohnzimmer nieder, die Tasse auf der Lehne balancierend. Auf die eintönigen Häuserreihen fiel mit Schnee vermischter Regen. Am Horizont sah er den Wald und dahinter graue
In Gedanken kehrte er zu dem Augenblick zurück, als die Mädchen in das Cafe gekommen waren, wo er immer mutloser auf Tanja gewartet hatte. Er war aufgestanden und ihnen ein Stück entgegengegangen, als Tanja ihn entschieden gestoppt und an den Tisch zurückgeführt hatte.
- Ich will sie begrüßen.
- Das geht nicht.
- Warum nicht?
- Jemand, der Leyla kennt, könnte dich sehen. Das wäre nicht gut.
- Ich will sie doch nur begrüßen.
Jesper Humlin sah, wie Tanja zu Leyla zurückkehrte. Die Mädchen setzten sich an einen Ecktisch. Ab und zu warfen sie einen Blick in seine Richtung, ohne ihn eigentlich zu sehen, und dabei unterhielten sie sich fortwährend. Leyla hatte ein Tuch um den Kopf gebunden.
Jesper Humlin war verwirrt. Seine Unsicherheit irritierte ihn. Tanja kehrte an seinen Tisch zurück, als wäre sie eine ausgesandte Botin.
- Was hat es für einen Sinn, daß sie herkommt, wenn ich sie nicht begrüßen darf?
- Leyla wollte sich selbst überzeugen, daß du uns nicht verraten hast. Daß du zurückgekommen bist.
- Pelle Törnblom sagte, ihr hättet beschlossen, das Ganze abzublasen.
- Was hätten wir sonst tun sollen, als du nicht kamst? Wir sind es gewöhnt, enttäuscht zu werden.
- Ich möchte nur bemerken, daß es Tea-Bag ist, die verschwunden ist. Niemand anders.
- Sie hatte bestimmt einen Grund. In einem Land wie Schweden ist es immer am besten, vorsichtig zu sein.
- Warum gerade in Schweden? Tanja schüttelte gereizt den Kopf.
- Wir werden das Treffen, das gestern nicht stattgefunden hat, heute abend nachholen.
Jesper Humlin fiel das Telefongespräch mit Andrea ein.
- Das geht nicht.
Es blitzte in Tanjas Augen.
- Willst du uns schon wieder verraten?
- Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, daß ich keinen Verrat begangen habe.
- Wenn wir dir glauben sollen, muß unser Kurs heute abend stattfinden.
- Das ist ausgeschlossen.
Tanja stand auf.
- Leyla wird nicht froh sein, wenn ich ihr erzähle, was du gerade gesagt hast.
Fieberhaft suchte Jesper Humlin nach einem Ausweg.
- Können wir den Kurs nicht jetzt gleich abhalten?
- Das geht nicht.
- Warum nicht?
- Leyla ist in der Schule.
- Wie kann sie in der Schule sein, wenn sie hier sitzt?
- Wenn jemand entdeckt, daß sie nicht in der Schule ist, bekommt sie Probleme.
- Wenn ich heute abend nicht in Stockholm bin, bekomme ich Probleme. Können wir uns heute nachmittag treffen?
- Ich werde sie fragen.
Tanja setzte sich an den anderen Tisch. Wieder dachte Jesper Humlin, daß sie eine Botin war, die sich zwischen zwei verschiedenen Heerlagern hin und her bewegte. Ihm wurde klar, daß Schweden sich im letzten Jahrzehnt in ein Land verwandelt hatte, über das er nur äußerst begrenzte Kenntnisse besaß. Tanja kam zurück.
- Um fünf Uhr.
Sofort stellte Jesper Humlin im Kopf einen Zeitplan auf.
- Wir haben zwei Stunden Zeit. Dann muß ich fahren. Wo werdet ihr sein?
- Bei mir zu Hause.
- Ich wäre sehr dankbar, wenn der Mann, der Haiman heißt, nicht dabei wäre.
- Er wird nicht kommen.
- Kannst du mir das garantieren?
- Niemand wird davon erfahren, daß wir dich treffen . Dafür sorgt Leyla.
Sogleich war Jesper Humlin beunruhigt.
- Wie?
- Sie sagt, sie ist zu Hause bei Fatima.
- Wer ist das?
- Das ist eine Freundin aus Jordanien. Wenn Leylas Eltern anrufen, um zu kontrollieren, ob sie wirklich da ist, bekommen sie die Auskunft, Leyla und Fatima
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