Tea-Bag
Humlin. Aber ein bißchen Zeit haben wir noch. Falls ihr mich vielleicht etwas über meine Bücher fragen wollt.
- Ich habe versucht, eins davon zu lesen, sagte Leyla. Aber ich habe nichts begriffen. Ich hasse es, mich dumm zu fühlen. Wann können wir jemanden treffen, der sich mit Soaps auskennt?
Allmählich gewöhnte sich Jesper Humlin an die abrupten Wendungen in ihren Diskussionen.
- Ich werde sehen, was ich tun kann.
- Was heißt das?
- Daß ich darüber nachdenken werde, ob ich jemanden kenne, der mit Seifenopern zu tun hat.
- Ich will eine gute Rolle haben.
- Ich werde sehen, was ich tun kann.
- Es soll eine gute Rolle sein. Eine große Rolle.
- Vielleicht kenne ich jemanden, mit dem du reden kannst.
Leyla schien unzufrieden mit den vagen Antworten. Ihr Handy klingelte. Sie hörte zu, ohne etwas zu sagen.
- Papa hat angerufen, sagte sie. Ich muß los.
Es wurde ein sehr hastiger Aufbruch. Jesper Humlin blieb keine Zeit, sich richtig zu verabschieden.
- Ich kann dich zur Straßenbahn bringen, sagte Tanja zu ihm. - Ich glaube, ich finde allein zur Haltestelle.
- Es ist besser, wenn ich mitkomme. Falls du überfallen wirst.
- Von wem? Ich dachte, Haiman erfährt nichts davon?
- Ich spreche nicht von Haiman. Er ist anständig. Ich wünschte, ich hätte einen wie Haiman gehabt, als ich in Tallinn war. Aber es gibt hier draußen andere Gangs, die nicht daran gewöhnt sind, solchen wie dir zu begegnen. Das könnte sie wütend machen.
- Wieso sollten irgendwelche Leute böse auf mich werden?
- Sie fühlen sich wie Neger. Und du bist weiß.
Mit Tanja als Leibwächterin gelangte Jesper Humlin zur Straßenbahnhaltestelle.
- Wie, fandest du, ist es gelaufen?
- Gut.
- Was du mir am Telefon erzählt hast, hat mich bewegt.
- Was bedeutet das? »Bewegt«?
- Es hat mich ergriffen. Sie zuckte die Schultern.
- Ich habe nur gesagt, wie es war.
- Aber es gab vieles, was du nicht erzählt hast.
- Jetzt kommt die Straßenbahn.
Sie drehte ihm den Rücken zu und ging davon. Noch eine unvollständige Geschichte, dachte er. Von der ich nur eben mal den Rücken sehe. Jetzt kehrt sie zum Schlafen in die Wohnung der Familie Yüksel zurück. Falls sie nicht die Nacht für einen Einbruch nutzen will. Er fühlte in den Taschen nach, ob seine Schlüssel noch da waren, und stieg dann in die Straßenbahn zum Hauptbahnhof.
Es war halb elf, als Jesper Humlin die Wohnungstür öffnete. Er war darauf eingestellt, daß Andrea noch wach und in Streitlaune war. Sie kam hinaus in den Flur. Zu seiner Erleichterung merkte er, daß sie nicht böse war.
- Tut mir leid, daß es so spät geworden ist.
- Macht nichts. Wir haben Besuch.
- Mitten in der Nacht? Wer ist es?
Mit Entsetzen dachte Jesper Humlin, daß es vielleicht seine Mutter war, die einen ihrer nächtlichen und stets unangekündigten Besuche machte.
- Ist es Märta?
- Nein. Komm mit in die Küche.
Jesper Humlin wünschte keinen Besuch mitten in der Nacht. Was er vor allem brauchte, war Schlaf.
Er ging in die Küche. Andrea gegenüber, mit einer Tasse Kaffee vor sich, saß ein Mädchen mit einem großen Lächeln.
Tea-Bag war wieder da.
12
J esper
Humlin erschrak, als er Tea-Bag in seiner Küche vorfand. Wie lange war sie schon da? Was hatte sie Andrea erzählt? Was sollte er selbst sagen, wenn Andrea ihn fragte, warum er nichts von Tea-Bag und ihrem ersten Besuch erzählt hatte? Vor ihm türmte sich eine ganze Batterie von mehr oder weniger komplizierten Gefahrenmomenten auf.
- So eine Überraschung, war alles, was er unter großer Vorsicht herausbrachte.
- Tea-Bag hat mir eine sehr aufregende und merkwürdige Geschichte erzählt.
Sicher, dachte Jesper Humlin. Falls ihr Name tatsächlich Tea-Bag ist, und nicht Florence. Ich habe gelernt, allem zu mißtrauen, was Leute zu heißen behaupten. Besonders jüngeren Frauen, die sich als Flüchtlinge in diesem Land aufhalten.
Andrea betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn.
- Warum setzt du dich nicht? Ich dachte, ihr seid gute Freunde?
Er setzte sich und nickte Tea-Bag freundlich zu, ohne ihr in die Augen zu sehen.
- Warum hast du nie von ihrem Bruder erzählt? Sofort begannen die Alarmglocken zu läuten.
- Von ihrem Bruder?
- Warum schaust du so komisch?
- Ich schaue nicht komisch. Ich verstehe nur nicht, wovon du redest. Ich bin müde.
- Adamah? In dessen Restaurant du oft zu Mittag ißt? Am Humlegård-Park? Du hast mir nie etwas von Adamah und
Reicht es nicht, wenn du in deinen Gedichten rätselhaft
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