Tea-Bag
gesagt?
- Gar nichts. Sie hat mir erzählt, wie sie nach Schweden gekommen ist. Dabei bin ich kurz eingenickt. Da ist sie verschwunden.
- Stell dir vor, durch ganz Europa zu radeln.
- Radeln?
- Du hast doch gerade gesagt, sie hätte dir erzählt, wie sie es vom nördlichen Finnland aus hierher geschafft hat?
Jesper Humlin sah ein, daß es besser war, keine weiteren Fragen zu stellen. Tea-Bags Geschichte war ebenso widersprüchlich und undurchschaubar wie Tanjas. Er fragte sich mehr und mehr, welche Geschichte eigentlich zu wem gehörte. Wenn jemand via Torneå nach Schweden geradelt war, dann müßte es Tanja gewesen sein und nicht Tea-Bag.
- Hilf ihr jetzt mit dem Bett. Märta wird gleich hier sein. Wir setzen uns in die Küche und machen die Tür zu. Ich werde sagen, daß du schläfst.
- Wie soll ich bitte schlafen können, wenn meine Mutter in der Küche sitzt und plant, wie sie mich umbringen kann?
- Sei nicht albern. Sie liebt dich. Warum sollte sie dich umbringen wollen?
- Weil sie verrückt ist.
- Sie schreibt ein Buch. Ich finde es großartig, daß ein alter Mensch noch so viel Energie hat.
Jesper Humlin holte Bettzeug und richtete das Sofa in seinem Arbeitszimmer zum Schlafen her. Tea-Bag kam herein, angetan mit seinem Bademantel. Er drehte sich weg, während sie ihn ablegte und zwischen die Laken schlüpfte. Da klingelte es an der Tür. Tea-Bag schrak zusammen und schien verängstigt.
- Das ist nur meine Mutter.
Er schloß die Tür und setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl. Tea-Bag hatte die Decke bis zum Kinn hochgezogen und ließ den Blick durchs Zimmer wandern, an den mit Regalen bedeckten Wänden entlang.
- In diesem Zimmer habe ich angefangen, meine Bücher zu schreiben.
- Hast du ein Buch, das von Affen handelt?
- Nicht, soweit ich mich erinnere. Sie wirkte enttäuscht.
- Wovon handeln sie dann?
- Vorwiegend von Menschen. Er gab sich einen Ruck.
- Was war eigentlich der Grund dafür, daß du aus dem Zug verschwunden bist?
Tea-Bag antwortete nicht. Sie fing an zu weinen. Jesper Humlin war bestürzt.
- Möchtest du allein sein? fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. Jesper Humlin saß schweigend da. Es war, als hätte er wieder ihr Buch in Händen und wartete darauf, daß es aufgeschlagen würde.
- Ich hatte Angst.
- Vor mir?
- Nichts, was von außen kommt, kann mir noch Angst machen. Die Angst kommt von innen. Ich hörte die Stimme meines Vaters. Er befahl mir zu rennen. Ich konnte ihn nicht sehen. Aber ich wußte, daß ich ihm gehorchen mußte. So schnell rennen, wie ich konnte, und mich nicht umdrehen.
- Was geschah dann?
- Die Angst ging wieder vorüber. Ein Laster hat mich dann nach Stockholm mitgenommen.
- Und was ist das für ein Bruder, von dem du geredet hast?
- Wer?
- Angeblich hast du einen Bruder, der Adamah heißt. Er besitzt ein Restaurant, in dem ich, wie du behauptest, regelmäßig zu Mittag esse.
Ohne zu antworten, drehte sie ihm den Rücken zu und zog die Decke hoch, bis nur noch ihre schwarzen, geflochtenen Haare auf dem Kissen zu sehen waren. In Sekundenschnelle war sie eingeschlafen. Er saß da und betrachtete die Konturen ihres Körpers, der sich unter der Decke abzeichnete, und dachte
an das, was sie gesagt hatte. Die Angst kommt von innen. Ich hörte die Stimme meines Vaters. Er befahl mir zu rennen. Jesper Humlin löschte das Licht und öffnete behutsam die Tür. Er schlich sich bis an die Küchentür und horchte. Er hörte die Stimme seiner Mutter. Laut und herrisch. Er flüchtete ins Schlafzimmer.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, war das Bett leer. Es war halb acht. Andrea war gegangen. Er stand auf und sah im Arbeitszimmer nach. Tea-Bag war ebenfalls weg. Neben dem Sofa lag die abgestempelte Bahnkarte Stockholm-Göteborg. Schon wieder ist sie verschwunden, dachte er. Ohne daß ich weiß, warum oder wohin.
Das Telefon klingelte. Als er hörte, daß es Anders Buren war, nahm er ab.
- Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?
- Schriftsteller arbeiten morgens am besten.
- Neulich hast du gesagt, du würdest nachts am besten arbeiten. Aber deswegen rufe ich nicht an. Ich war für einige Tage in meinem privaten Kloster. Zum Meditieren.
Japser Humlin wußte, daß Anders Buren alle drei Monate ein klosterartiges Sanatorium weit draußen in den Schären besuchte. Das Gerücht besagte, daß das Kloster strikter Geheimhaltung unterlag und als privater Klub betrieben wurde, in dem die Mitgliedschaft ein Vermögen kostete.
- Vielleicht ist dir
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