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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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die Absicht zu sagen, wer ich bin. Hat die schwedische Kirche eine Ausweispflicht eingeführt?
    - Die Menschen in diesem Keller leben ständig in der Gefahr, ausgewiesen zu werden. Ich glaube nicht, daß Sie ihre Angst nachempfinden können.
    - Vielleicht doch ein wenig, erwiderte Jesper Humlin. Ich bin auch kein ganz unsensibler Mensch.

Sie betrachtete ihn schweigend. Ihre Augen waren müde und besorgt.
    - Sind Sie Journalist?
    - Nicht ganz. Ich bin Schriftsteller. Aber das spielt keine Rolle. Ich werde niemandem verraten, daß Sie im Keller Ihrer Kirche Flüchtlinge verstecken. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig finde. Immerhin haben wir in dieser Gesellschaft Gesetze und Vorschriften, die wir befolgen sollten. Aber ich werde nichts sagen. Das einzige, was ich herausfinden will, ist, ob hier ein Mädchen mit einem großen Lächeln wohnt.
    - Tea-Bag kommt und geht. Ob sie jetzt gerade hier ist, weiß ich nicht.
    - Aber sie wohnt hier?
    - Gelegentlich. Sonst wohnt sie bei einer Schwester in Göteborg.
    - Wie heißt die Schwester?
    - Das weiß ich nicht.
    - Haben Sie ihre Adresse?
    - Nein.
    - Wie kommt es, daß sie gelegentlich hier wohnt, wenn sie sich eigentlich in Göteborg aufhält?
    - Ich weiß es nicht. Eines Morgens stand sie einfach da. Jesper Humlin fühlte sich zunehmend verwirrt. Sie lügt, dachte er. Was wird denn dadurch besser, daß sie mir nicht sagt, wie es wirklich ist?
    - Welches Zimmer hat sie?
    Die Pastorin zeigte den Gang entlang und sagte gleichzeitig, sie heiße Erika. Sie klopfte an die Tür, hinter der Tea-Bags Zimmer lag. Ein unterirdisches Hotel, dachte Jesper Humlin. Erika drückte die Türklinke. Die Tür war unverschlossen. Im Zimmer befanden sich ein Bett und ein Tisch, sonst nichts. Über dem Stuhl hing ein Pullover, den er kannte. Sie hatte ihn auf der Reise angehabt, die sie in Hallsberg unterbrochen hatte. Erika schüttelte den Kopf.

- Tea-Bag kommt und geht. Ich weiß nie, wann sie hier ist. Sie ist scheu. Ich lasse sie in Ruhe.
    Sie stiegen wieder die Treppe hinauf und traten in den Garten hinaus. Fasziniert beobachtete Jesper Humlin, wie sie in die Schuhe mit den hohen Absätzen schlüpfte.
    - Sie haben schöne Beine, sagte er. Aber das darf man zu einer Pastorin vielleicht nicht sagen?
    - Man darf zu einer Pastorin sagen, was man will.
    - Was sind das für Menschen, die sich bei Ihnen verstecken? - Im Moment leben hier eine Familie aus Bangladesch, zwei Familien aus dem Kosovo, ein alleinstehender irakischer Mann und zwei Chinesen.
    - Wie kommen die hierher?
    - Eines Morgens oder späten Abends stehen sie einfach da. Vom Hörensagen wissen sie, daß sie hier eine Freistatt finden. - Wie geht es weiter?
    - Sie verschwinden. Verstecken sich woanders. Ich habe einen guten Freund, einen Arzt, der herkommt und nach ihnen schaut. Wissen Sie, daß es heute annähernd zehntausend Menschen gibt, die auf diese Weise in Schweden leben. Untergetaucht. Es gibt sie, ohne daß es sie geben darf. Und das ist natürlich eine furchtbare Schande.
    Sie verabschiedeten sich auf der Straße voneinander.
    - Sagen Sie ihr nicht, daß ich hier war. Ich treffe sie so oder so bei einer späteren Gelegenheit.
    Erika zog sich in ihre Kirche zurück. Jesper Humlin erwischte ein freies Taxi und fuhr zurück in seine eigene Welt. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch. Das Bild von Tanja als Kind lag vor ihm. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er ließ ihn lange in seinem Kopf herumwandern. Dann kramte er ein Vergrößerungsglas hervor und musterte die Rückseite der Fotografie. Mit Mühe und Not meinte er, einen Stempel auf dem Fotopapier erkennen zu können, auf dem er die Jahreszahl

»1994« erahnte. Er legte das Bild wieder hin. Das Mädchen sah ihn mit ernsten Augen an.
    Das ist nicht Tanja, dachte er.
    Es ist ihre Tochter.

13
    A m folgenden Tag stattete Jesper Humlin seinem Verleger
    einen Besuch ab, nachdem er zuvor eine Stunde im Solarium verbracht hatte, in dem Bemühen, die verblassende Sonnenbräune zu konservieren. Eigentlich wollte er Olof Lundin gar nicht treffen. Aber ihm fehlte der Mut abzusagen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß die Öldirektoren eine größere Gefahr für ihn darstellten, als er sich eigentlich eingestand. In Olof Lundins Büro herrschte ausnahmsweise eine normale Zimmertemperatur. Dafür trat er aber in einen dichten Nebel aus Zigarettenrauch ein.
    - Die Lüftung ist kaputtgegangen, erklärte Olof Lundin knapp. Der Reparaturdienst ist unterwegs.
    - Stell dir

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