Tea-Bag
einfach vor, es ist dichter Nebel über der Ostsee.
- Genau das habe ich getan. Ich hätte den Leuchtturm von Russarö sehen müssen, der an der Einfahrt zum Finnischen Meerbusen steht. Im Moment weiß ich nicht genau, wo ich mich befinde.
Jesper Humlin hatte sich darauf vorbereitet, sofort zum Angriff überzugehen. Er wollte nicht riskieren, in ein Gespräch verstrickt zu werden, bei dem Olof Lundin den Ton angab.
- Ich hoffe, du hast inzwischen begriffen, daß ich keinen Kriminalroman schreiben werde.
- Im Gegenteil. Die Marketingabteilung hat bereits einen originellen Vorschlag für die Lancierung präsentiert.
Sie denken an ein Bild von dir in Lebensgröße, mit einer Pistole in der Hand.
Jesper Humlin schauderte es bei dem Gedanken, sich selbst mit einer Waffe in der Hand zu sehen. Olof Lundin steckte sich
an einer Zigarette, die bereits in dem überfüllten Aschenbecher vor sich hinqualmte, eine weitere Zigarette an.
- Deine mangelnde Entschlußkraft macht mir ernsthaft Sorgen, sagte er. Willst du wissen, wie viele Exemplare wir in den letzten zwei Wochen von deiner Gedichtsammlung verkauft haben?
- Nein danke.
- Ich sage es trotzdem. Damit du erkennst, wie ernst die Lage ist.
- Wie viele hast du verkauft?
- Drei.
- Drei?
- Eins in Falköping und seltsamerweise zwei in Haparanda. Niedergeschlagen erinnerte Jesper Humlin sich an den chinesischen Briefschreiber aus Haparanda, der ihm mit größter Wahrscheinlichkeit bald eine seiner langen und fehlerhaften Analysen der Gedichte schicken würde.
- Die Lage ist ernst. Ich habe verstanden, daß du dich in einer Art schöpferischer Krise befindest und dich deswegen bei irgendwelchen Einwanderermädchen in Göteborg versteckst. Aber jetzt mußt du dich aufrappeln. Ich bin überzeugt, daß du einen hervorragenden philosophischen Kriminalroman schreiben kannst.
- Ich verstecke mich nicht. Wenn ich dir doch nur begreiflich machen könnte, was sie mir erzählen. Es sind Geschichten, die noch nie auf Schwedisch erzählt worden sind. Außerdem dürftest du kaum eine Ahnung davon haben, daß heute vermutlich an die zehntausend Menschen illegal in Schweden leben.
Olof Lundins Gesicht hellte sich auf.
- Ein optimaler Ausgangspunkt für deinen zweiten Kriminalroman. Der investigative Poet, der Menschen aufspürt, die sich versteckt halten.
Jesper Humlin merkte, daß ihm das Gespräch bereits entglitten war. Bei Olof Lundin konnte er auf keinerlei Verständnis rechnen. Er wechselte die Spur.
- Ich hoffe, du bist dir im klaren darüber, daß meine Mutter niemals ein Buch zustande bringen wird.
- Ich habe in meinem Leben schon größere Überraschungen erlebt. Aber ich werde natürlich abwarten, bis sie ein Manuskript abliefert.
- Ihren Angaben zufolge sollen es siebenhundert Seiten werden.
Olof Lundin schüttelte den Kopf.
- Wir haben beschlossen, daß wir künftig nur noch in äußersten Ausnahmefällen Bücher publizieren werden, die mehr als vierhundert Druckseiten umfassen. Die Menschen von heute verlangen nach dünnen Büchern.
- Ich glaube, es ist genau umgekehrt.
- In verlegerischen Fragen überläßt du das Urteil wohl besser mir. Man spricht vom magischen schöpferischen Akt. Niemand spricht von dem genauso magischen verlegerischen Akt. Aber ich garantiere dir, daß es ihn gibt.
Jesper Humlin holte tief Luft.
- Ich wollte eine Alternative vorschlagen. Keine Gedichtsammlung, kein Kriminalroman. Sondern ein spannender Bericht aus dem Untergrund. Über diese Mädchen, die ich in Göteborg getroffen habe. Ihre Geschichten, zu einem Roman verwoben, in dem ich die Hauptperson bin.
- Wer soll das lesen?
- Viele.
- Was soll daran spannend sein?
- Die einfache Tatsache, daß ihre Geschichten mit nichts zu vergleichen sind, was ich bisher gehört habe. Außerdem geht es um dieses Land. Es sind andere Stimmen als sonst, die da sprechen.
Olof Lundin fächelte sich den Rauch vor dem Gesicht weg. Jesper Humlin beschlich plötzlich das Gefühl, sich auf einem altertümlichen Schlachtfeld zu befinden, wo eine unsichtbare Kavallerie in einem Waldgebiet wartete und jetzt das Zeichen zum Angriff erhielt.
- Ich mache dir ein Gegenangebot. Schreib erst mal den Kriminalroman. Dann können wir eventuell dieses Einwandererbuch in Erwägung ziehen.
Jesper Humlin war empört über Olof Lundins totalen Mangel an Verständnis dafür, daß das, was er sagte, tatsächlich wichtig sein könnte.
- Ich schlage das Gegenteil vor. Erst dieses Buch, dann vielleicht, aber
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