Tea-Bag
den Kriminalroman beiseite, den er nicht schreiben würde, und konzentrierte sich auf das Gespräch mit Andrea. Sofort fühlte er sich in die Ecke gedrängt.
- Du hörst gar nicht zu, was ich sage, fing sie an. Erstaunt sah er sie an.
- Du hast doch noch gar nichts gesagt?
- Du hörst sowieso nicht zu.
- Ich höre.
- Wie soll es eigentlich mit uns weitergehen?
- Woran genau denkst du?
- Du weißt genau, was ich meine. Wir haben eine Beziehung. Sie besteht nun schon seit ziemlich vielen Jahren. Ich möchte ein Kind haben. Und du sollst der Vater dieses Kindes sein. Wenn du keine Kinder willst, muß ich mir überlegen, ob ich nicht vielleicht einen anderen Mann brauche.
- Ich möchte auch Kinder haben. Die Frage ist nur, ob gerade jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist.
- Für mich schon.
- Ich bin gerade dabei, mein Selbstverständnis als Schriftsteller zu verändern. Ich bin nicht sicher, ob es möglich ist, diese Wandlung mit einem Kind zu vereinbaren.
- Dein Selbstverständnis wird sich niemals ändern. Du wirst immer der bleiben, der du jetzt bist. Wichtige Entscheidungen, die andere als dich selbst betreffen, werden bei dir immer weit unten auf der Warteliste landen.
- Es muß ja nicht länger als ein Jahr dauern.
- Das ist zu lang.
- Ich brauche wenigstens ein paar Monate nur für mich.
- Willst du wieder verreisen?
- Ich will versuchen, ein Buch über diese Mädchen zu schreiben, die ich in Göteborg getroffen habe.
- Ich dachte, es ginge darum, daß sie ihre Geschichten selbst erzählen? Wer besucht den Schreibkurs, du oder sie?
- Ich glaube nicht, daß sie imstande sind, ihre eigenen Geschichten zu erzählen.
- Warum gibst du dich dann mit ihnen ab?
- Ich versuche ihnen ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu entlocken. Du hörst nicht zu, was ich sage.
- Das klingt für mich, als wärst du dabei, etwas zu stehlen.
- Ich stehle nichts. Eins der Mädchen ist eine Taschendiebin. Aber das ist eine andere Geschichte.
- Du stiehlst ihre Erzählungen. Aber das ist es nicht, wovon wir sprechen. Ich werde nicht bis in alle Ewigkeit darauf warten, daß du dich entscheidest.
- Kannst du mir nicht wenigstens einen Monat geben?
- Ich will, daß wir uns jetzt entscheiden.
- Das kann ich nicht.
Andrea stand vom Küchentisch auf.
- Ich verstehe das so, daß unsere Beziehung jetzt ihrem Ende entgegengeht.
- Mußt du immer gleich so dramatisch sein? Jedesmal, wenn wir ein ernstes Gespräch führen wollen, ist es, als würde ich in ein Theaterstück gestürzt, in dem ich mir meine Rolle nicht ausgesucht habe.
- Ich bin nicht dramatisch. Im Gegensatz zu dir sage ich, was ich denke.
- Das tue ich auch.
Andrea stand da und schaute ihn an.
- Nein, sagte sie langsam. Ich frage mich allmählich, ob du jemals sagst, was du denkst. Oder was du meinst. Ich glaube, in deinem Kopf ist kein Platz für jemand anderen als dich selbst. Sie stürmte aus der Küche und knallte die Tür zu. In ihrer Wut und Enttäuschung hatte sie das Licht ausgemacht. Jesper
Humlin blieb im Dunkeln sitzen. Sogleich schob er alle Gedanken an Andrea und Kinder beiseite. Er fragte sich, wo Tea-Bag sich befand. Versuchte sich zehntausend Menschen vorzustellen, die sich in Kellergewölben unter Kirchen oder in anderen Schlupfwinkeln verbargen. Doch es gelang ihm nicht. Er legte sich in seinem Arbeitszimmer aufs Sofa, das noch mit Tea-Bags Laken bezogen war. Es war, als sei alles in ihm zum Stillstand gekommen. Oder hätte sich festgefahren. Der Gedanke an Olof Lundin raubte ihm den Schlaf.
Am folgenden Tag rief Andrea an und stellte ihm ein Ultimatum.
- Du bekommst einen Monat Zeit. Nicht länger. Dann müssen wir entscheiden, ob wir eine gemeinsame Zukunft haben oder nicht.
Den restlichen Vormittag tigerte er in der Wohnung herum und grübelte darüber nach, was geschehen würde. Am späten Nachmittag verließ er die Wohnung, um die Abendzeitungen zu kaufen.
Tea-Bag saß auf der Treppe. Er starrte sie an.
- Warum klingelst du nicht an der Tür? Ich will nicht, daß du auf der Treppe sitzt. Die Nachbarn könnten anfangen, sich Gedanken zu machen.
Tea-Bag ging schnurstracks in die Küche und setzte sich, ohne ihre voluminöse Steppjacke zu öffnen. Als er sie fragte, ob sie Kaffee haben wollte, schüttelte sie den Kopf.
- Wenn du vorhast, mich irgendwas zu fragen, gehe ich.
- Ich werde dich nichts fragen.
- Wann fährst du wieder nach Göteborg?
- Das habe ich noch nicht entschieden.
Tea-Bag war rastlos und besorgt.
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