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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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beiden Ruderboote, von denen

Tanja und Tea-Bag erzählt hatten. Das eine war durch die Flußsysteme Mitteleuropas getrieben, das andere war von Estland nach Gotland gerudert worden. Plötzlich sah er, wie in einer Offenbarung, eine Armada von kleinen Booten, in denen Flüchtlinge auf allen Meeren der Welt in Richtung Schweden ruderten.
    Vielleicht sieht die Welt in Wirklichkeit so aus, dachte er. Wir leben in der großen Zeit der Ruderboote.
    Er wollte gerade aufstehen, als eine Frau hinter dem Altar hervorkam. Sie trug ein Beffchen. Aber im übrigen ließ ihre Kleidung nicht an eine Kirche denken. Sie hatte einen kurzen Rock an und Schuhe mit hohen Absätzen. Sie schenkte Jesper Humlin ein Lächeln, das er erwiderte.
    - Die Kirche war offen. Da bin ich eingetreten.
    - Das ist auch so gedacht. Eine Kirche soll immer allen offenstehen.
    - Eigentlich dachte ich, hier sei ein Wohnhaus.
    - Warum dachten Sie das?
    - Jemand hat mir diese Adresse gegeben.
    Sie sah ihn abwartend an. Vage ahnte er, daß etwas nicht stimmte.
    - Wer?
    - Ein schwarzes Mädchen.
    - Wie heißt sie?
    - Vielleicht Florence. Aber sie nennt sich Tea-Bag. Die Pastorin schüttelte den Kopf.
    - Sie hat das größte und schönste Lächeln, das ich je gesehen habe.
    - Ich weiß nicht, wen Sie meinen. Es ist keine Person, die ich kenne, keine, die öfter hierherkommt.
    Sofort merkte Jesper Humlin, daß die Frau, die vor ihm stand, nicht die Wahrheit sagte. Pfarrer wissen nicht, wie man eine Unwahrheit überzeugend präsentiert, dachte er. Vielleicht, wenn sie von unseren inneren Welten und von Göttern

predigen, die sich in fernen Himmeln verbergen. Aber nicht, wenn sie von so irdischen Dingen sprechen wie dem Sein oder Nichtsein einer Person.
    - Es ist keine Person, die dieser Gemeinde angehört, fuhr sie fort. Keine, die ich mich erinnern kann, hier gesehen zu haben. Sie hob ein Gesangbuch auf, das von einem Stuhl gefallen war.
    - Wer sind Sie? fragte sie dann.
    - Ein zufälliger Besucher.
    - Es kommt mir so vor, als ob ich Ihr Gesicht kenne. Jesper Humlin dachte an den Schaffner, den er vorhin getroffen hatte. - Das ist kaum anzunehmen.
    - Ich meine, ich habe Sie schon mal gesehen. Nicht hier. Aber irgendwo anders.
    - Sie müssen sich irren.
    - Sie suchen also nach jemandem?
    - Man könnte es vielleicht so nennen.
    - Hier ist niemand außer mir.
    Er wunderte sich immer mehr, warum sie nicht die Wahrheit sagte. Sie ging auf den Ausgang zu. Er folgte ihr.
    - Ich wollte gerade zusperren.
    - Ich dachte, Sie sagten, eine Kirche sollte immer allen offenstehen?
    - Wir haben nachmittags immer ein paar Stunden geschlossen.
    Jesper Humlin ging hinaus.
    - Sie sind jederzeit willkommen, sagte die Pastorin und schloß den Haupteingang ab.
    Jesper Humlin überquerte die Straße und drehte sich um. Sie wollte mich loswerden, dachte er. Die Frage ist nur, warum? Er ging um die Kirche herum. Dahinter war ein kleiner Garten. Aber keine Menschen. Er wollte gerade wieder gehen, als er plötzlich meinte, jemanden an einem der Fenster an der Rückseite der Kirche zu sehen. Ein Gesicht oder die rasche

Bewegung einer Gardine, er konnte nicht genau erkennen, was von beiden es war.
    Es gab eine Tür an der Rückseite. Er ging hin und rüttelte daran. Sie war unverschlossen. Dahinter war eine Treppe, die hinunter in den Keller der Kirche führte. Er machte Licht und horchte. Dann ging er vorsichtig die Treppe hinab. An ihrem Ende lag ein Gang mit einer Reihe von Türen. Am Boden waren Spielsachen verstreut, ein Plastikeimer und eine Schaufel. Er runzelte die Stirn. Dann öffnete er die Tür, die am nächsten lag, und starrte in ein kleines Zimmer, in dem eine Frau und ein Mann und drei kleine Kinder auf einem Matratzenlager verschreckt seinem Blick begegneten. Jesper Humlin murmelte eine Entschuldigung und machte die Tür wieder zu. Er verstand. Unter der Kirche verbargen sich Flüchtlinge, wie in einer Art Katakomben der heutigen Zeit.
    Plötzlich stand die Pastorin hinter ihm. Sie hatte die hochhackigen Schuhe ausgezogen. Ihre Schritte waren lautlos gewesen.
    - Wer sind Sie eigentlich? Sind Sie Polizist?
    Sie ist die zweite Frau, die mich im Laufe von wenigen Tagen als Polizisten betrachtet, dachte er. Erst meine durchgeknallte Mutter, und jetzt eine Pastorin mit viel zu hohen Absätzen an den Schuhen. Eine schwedische Pastorin sollte nicht so aussehen. Keine Pastorin sollte so aussehen.
    - Ich bin kein Polizist.
    - Kommen Sie von der Einwanderungsbehörde?
    - Ich habe nicht

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