Tea-Bag
künftig hier mitmacht.
Jesper Humlin dachte, während Leylas große Familie zur Tür hinaus verschwand, daß er seinen ersten Sieg in Pelle Törnbloms Boxklub errungen hatte. Leylas Freude und Erleichterung waren groß. Sie sank auf den Stuhl. Tanja nahm ihre Hand. Zu Jesper Humlins großem Erstaunen begann Pelle
Törnblom gedankenverloren mit einem Handtuch vor ihrem Gesicht zu wedeln, als wäre sie ein Boxer, der sich zwischen zwei Runden ausruht.
Ein Fernsehteam tauchte natürlich nicht auf. Nach einer Stunde des Wartens tat Pelle Törnblom so, als würde er anrufen, und teilte dann mit, es habe ein Mißverständnis bezüglich des Datums und der Uhrzeit gegeben, aber ein neuer Termin sei bereits vereinbart. Die Miene von Leylas Vater verdüsterte sich bei dieser Auskunft, er wurde aber von Jesper Humlin besänftigt, der darauf hinwies, daß der Aufschub ihm die Möglichkeit gab, seinen Beitrag vorzubereiten.
- Schreibt eure Erzählungen auf, sagte Jesper Humlin zum Abschluß. Schreibt auf, was ihr heute erlebt habt. Erzählt alles. Eine Geschichte ohne Schluß ist eine schlechte Geschichte.
Er sah Leyla an, daß sie ihn verstand.
Als sie in den dunklen Abend hinaustraten, schneite es. Leyla verschwand, umgeben von ihrer großen Familie. Tanja fauchte ihnen hinterher, murmelte etwas, das Jesper Humlin nicht verstand. Pelle Törnblom sperrte die Tür zu, und Tea-Bag lief herum und zog mit ihren Füßen Streifen in den Schnee. Tanja schob eine Mütze tief in die Stirn.
- Wohnst du noch in der Wohnung der Yüksels?
- Sie sind wieder nach Hause gekommen.
- Wo wohnst du?
Tanja zuckte die Schultern.
- Vielleicht in einer leeren Wohnung auf der anderen Seite des Marktes. Vielleicht woanders. Ich habe mich noch nicht entschieden.
Jesper Humlin hatte vorgehabt, mit ihr über das Foto von dem kleinen Mädchen zu reden. Aber es war, als errate sie seine Absicht. Ehe er ein Wort herausbrachte, hatte sie sich umgedreht, den Arm um Tea-Bag gelegt und war weg. Er sah ihnen nach und fragte sich, was er da eigentlich sah.
Pelle Törnblom brachte ihn zum Bahnhof.
- Es läuft prima, sagte er. Prima.
- Nein, sagte Jesper Humlin. Es läuft nicht prima. Ich habe permanent das Gefühl, kurz vor einer drohenden Katastrophe zu stehen.
- Du übertreibst.
Jesper Humlin machte sich nicht die Mühe zu antworten.
Pelle Törnblom fuhr mit seinem Auto davon. Jesper Humlin ging in den Wartesaal. Plötzlich blieb er stehen. Der Gedanke, noch am selben Abend nach Stockholm zurückzufahren, erschien ihm vollkommen unmöglich. Er setzte sich auf eine Bank. Tea-Bags Gesicht flimmerte vorbei, dann Tanjas, und schließlich Leylas. Er fragte sich, ob er wohl jemals erleben dürfte, daß sie sich wieder in Bewegung setzte, an der Stelle im Fußgängertunnel, wo sie selbst und ihre Erzählung so abrupt stehengeblieben waren.
Er verließ das Bahnhofsgebäude und quartierte sich im nächstgelegenen Hotel ein. Ehe er das Licht löschte und einschlief, saß er lange da, den Telefonhörer in der Hand und Andrea im Kopf. Aber er rief nicht an.
Es war Viertel vor elf, als er am nächsten Tag das Hotel verließ. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich ausgeschlafen. Während er auf dem Bahnsteig die Ankunft des Zuges erwartete, wählte er einige der vielen Telefonnummern seines Maklers Buren, ohne eine Antwort zu bekommen. Ehe er das Handy ausschaltete, hörte er aus purer Neugier die Nachrichten ab, die gespeichert und nicht für ihn bestimmt waren. Er bekam mit, daß der Mann, der sein Telefon losgeworden war, Kriminalinspektor war, Sture hieß und viel Zeit damit verbrachte, auf Pferde zu wetten.
Eine Stimme mit rollendem R rief pausenlos an und teilte mit, daß »Lokus Harem ein todsicherer Tip in Romme« sei. Er wollte das Telefon gerade abschalten, als er entdeckte, daß es auch noch eine SMS-Nachricht gab. Er starrte auf die
Buchstaben. Dann begriff er, daß die Nachricht an ihn gerichtet war, nicht an den unbekannten Polizisten namens Sture.
Die Nachricht war simpel und bestand aus fünf Worten. Hilfe. Tanja. Ruf Leyla an.
Im selben Moment hielt der Zug am Bahnsteig. Aber Jesper Humlin stieg nicht ein.
16
E r
rief im Boxklub an. Ein Junge, der ein schwer verständliches Schwedisch sprach, meldete sich. Nach ein paar Minuten kam Pelle Törnblom ans Telefon.
- Hier ist Jesper. Wie ist die Telefonnummer von Leyla?
- Woher soll ich das wissen? Wo bist du?
Jesper Humlin beschloß zu lügen. Er wußte selbst nicht warum.
- In
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