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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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dem Schatten aufgetaucht war und er geglaubt hatte, jetzt würde er überfallen und ausgeraubt. Er schrak zusammen. Tanja stand direkt hinter ihm. Sie war lautlos gekommen.
    - Wo ist Tea-Bag?
    Sie antwortete nicht. Sie setzten sich in Bewegung.
    - Wohin gehen wir?
    - Ins Zentrum.
    - Ich dachte, Tea-Bag wäre hier?
    Tanja antwortete noch immer nicht. Sie nahmen die Straßenbahn. Ein Betrunkener versuchte ein Gespräch mit Tanja anzufangen. Sie fauchte ihn an. Jesper Humlin beobachtete, wie sie sich in ein gefährliches Raubtier verwandelte. Der Mann ließ sofort von ihr ab.
    In der Nähe vom Götaplatsen stiegen sie aus. Der Regen hatte aufgehört. Tanja übernahm die Führung. Sie gingen eine der kleinen, aber feudalen Straßen oberhalb des Götaplatsen entlang, wo hohe Steinhäuser in großen Gärten versteckt lagen. Vor dem Gartentor eines der am wenigsten protzigen Häuser blieb Tanja stehen.
    - Ist Tea-Bag hier? Tanja nickte.
    - Wer wohnt in diesem Haus?
    - Der Polizeipräsident von Göteborg. Jesper Humlin schrak zusammen.

- Kein Problem. Er ist zu einer Konferenz gefahren. Die Familie ist auch nicht zu Hause. Außerdem hat er keine Alarmanlage.
    Tanja öffnete das Gartentor. Die Haustür war angelehnt. In dem großen Wohnzimmer im Erdgeschoß waren die Gardinen vorgezogen. Tea-Bag lag bäuchlings auf dem Fußboden und sah fern. Es lief ein schwedischer Film aus den fünfziger Jahren. Hasse Ekman lächelte einer Schauspielerin zu, an deren Namen Jesper Humlin sich nicht erinnerte. Der Ton war leise gestellt. Sie liegt da und sieht sich einen Film über eine ausgestorbene Tierart an, dachte er. Ein Schweden mit Einwohnern, die es nicht mehr gab.
    In der Küche klapperte es. Tanja hatte angefangen, eine Mahlzeit vorzubereiten. Tea-Bag stand abrupt auf und verschwand in der Küche. Jesper Humlin hörte die beiden lachen. Dann bekam er einen Schreck. Jemand öffnete die Haustür. Aber es war nicht der Polizeipräsident. Es war Leyla. Sie war hochrot im Gesicht und schwitzte stark.
    - Ich liebe ihn, sagte sie.
    Dann verschwand auch sie in der Küche. Jesper Humlin fragte sich, ob er je die Fortsetzung der Geschichte zu hören bekommen würde, die in einem Fußgängertunnel unterbrochen worden war. Er gesellte sich zu den Mädchen und setzte sich neben Tanja, die Zwiebeln schnitt. Die Tränen liefen ihr herunter.
    - Wie konntest du wissen, daß dieses Haus leer steht?
    - Jemand hat es mir gesagt. Ich weiß nicht mehr, wer. Nach allem was Tea-Bag und ich mitgemacht haben, finde ich es nicht mehr als recht und billig, daß wir es uns für eine Weile borgen.
    - Was kann ich tun? Niemand antwortete.
    Vor Jesper Humlins Augen füllte sich der Tisch mit allem, was die beiden Kühlschränke hergaben. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er ein so bemerkenswertes Mahl genossen,

selbst gemessen an den gewagtesten Nachtmenüs seiner Mutter. Alles wurde gemischt, Champagner und Saft, eingelegter Hering und Kompott. Das hier passiert nicht wirklich, dachte Jesper Humlin. Wenn ich über diesen Abend schreiben würde, über das Essen im Haus des verreisten Polizeipräsidenten, würde niemand mir glauben.
    Fortwährend horchte er auf Geräusche, vergewisserte sich, daß die Gardinen vorgezogen waren, und war darauf gefaßt, daß die Tür aufsprengt würde. Aber nichts geschah. Er nahm nicht an dem Gespräch teil, das zwischen den dreien von einem Thema zum anderen sprang. Kichernde Mädchen haben eine gemeinsame Sprache, dachte er. Sie ist überall auf der Welt die gleiche.
    Ein Streifen mit Fotos wanderte von Hand zu Hand. Schließlich landete er bei Jesper Humlin. Sie hatten das gleiche gemacht wie er selbst in seiner Jugend. Sich in einen Fotoautomaten gequetscht, den Vorhang zugezogen und sich fotografieren lassen. Tea-Bag fischte eine Schere aus einer Schublade und zerteilte den Streifen in vier Bilder. Sie gingen ins Wohnzimmer. Auf einer Kommode stand eine Anzahl von Familienfotos. Sie wählten eins aus, das eine große Familie im Schatten eines hohen, dicht belaubten Baumes zeigte.
    - Die haben komische Kleider an, sagte Tea-Bag. Wann ist das aufgenommen?
    - Um die vorige Jahrhundertwende, antwortete er.
    - Da gehören wir hin, fuhr Tea-Bag fort, brach die Rückseite auf und schob eins der Fotos von dem Streifen hinein.
    - Was werden die denken? sagte Leyla, als Tea-Bag die Rückseite wieder befestigt und die Fotografie auf die Kommode zurückgestellt hatte. Sie werden es nicht verstehen. Wir haben dieser Familie ein

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