Tea Party Die weisse Wut - Was Amerikas Neue Rechte so gefaehrlich macht
»deutscheste« Staat in ganz Amerika. Das Land, geringfügig größer als Iowa, liegt im Norden, zwischen Minnesota, Iowa und den Großen Seen. Sechs Millionen Menschenleben hier, davon anderthalb Millionen im Großraum Milwaukee am Lake Michigan. Milwaukee, eine Gründung französischer Pelzjäger, trägt einen indianischen Namen und galt einmal als das »deutsche Athen«. Nach der gescheiterten Märzrevolution immigrierten hierher Zehntausende von Deutschen, die Turnvereine, Bibliotheken und Parteien gründeten. Noch heute sind »Schmidt« und »Schmitt« die häufigsten Nachnamen. Milwaukee hatte, einmalig in der Geschichte der USA, drei sozialistische Bürgermeister; sie waren ebenfalls deutschstämmig. 1912 versuchte hier ein Immigrant aus Bayern, den Präsidentschaftskandidaten Theodore Roosevelt zu erschießen. Auch Victor Luitpold Berger lebte hier, der Gründer der Sozialistischen Partei Amerikas, die in Milwaukee mehr Stimmen als irgendwo sonst in Amerika hatte. Der Deutschlehrer war Chefredakteur des ›Social Democratic Herald‹ und des ›Vorwärts‹, einer seiner Genossen war Eugene Debs, Gewerkschaftler und Gründer der Organisation Industrial Workers of the World, der »Wobblies«. Die beiden hatten sich kennengelernt, als Berger dem Gewerkschaftler ein handsigniertes Exemplar von ›Das Kapital‹ ins Gefängnis sandte. Debs saß im Knast, weil er einen Streik gegen die Eisenbahngesellschaften organisiert hatte. Als Berger gegen den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg protestierte, wurde er als Spion verurteilt. 1929 überfuhr ihn eine Straßenbahn.
Der berühmteste Linke von Wisconsin ist jedoch Robert La Follette, genannt »Fighting Bob«, der 1901 als Gouverneur ins Madisoner Capitol einzog. Er focht für Frauenrechte und soziale Sicherheit, gegen Eisenbahnbosse, die er stärker besteuern wollte, gegen Großkonzerne, gegen Kinderarbeit, gegen den U S-Imperialismus in Südamerika und gegen den Kriegseintritt der USA. Das war 1917, als La Follette bereits Senator in Washington war. Das machte ihn zum meistgehassten Mann Amerikas, fast verlor er seinen Senatssitz. Zeitweise wurde sogar das
First Amendment
, die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit, für Kriegsgegner ausgesetzt. La Follette kämpfte auch dagegen, aber vergebens. 1924 kandidierte La Follette für die Präsidentschaft der USA. Den Republikanern hatte er sich entfremdet, soversuchte er es mit der neu gegründeten Progressive Party. Wisconsin stimmte für La Follette, aber es reichte nicht für eine bundesweite Mehrheit. Die Familie sollte jedoch in Wisconsin noch lange den Ton angeben. Roberts Sohn Philip, ebenfalls ein Progressiver, regierte zwölf Jahre lang während des New Deal, wo er Franklin D. Roosevelts Sozialreformen noch vor der Bundesregierung umsetzte. Sein ältester Sohn, der ebenfalls Robert hieß, übernahm 1925 den Senatorensitz seines Vaters in Washington, nachdem dieser gestorben war. Er stand dem La Follette Civil Liberties Committee vor, das ermittelte, wie Konzerne mit Drohungen und Bespitzelung verhindern wollten, dass sich Arbeiter organisierten: darunter Bethlehem Steel, Dupont, General Electric, General Motors und Standard Oil, der Ölfirma der Rockefellers. Er wollte verhindern, dass Amerika in den Zweiten Weltkrieg eintrat. 1946 löste sich die Progressive Party auf und La Follette jr. wurde wieder Republikaner. Aber er verlor seinen Senatssitz an Joseph McCarthy, auch aus Wisconsin. McCarthy sollte bald in Washington einen Kampf beginnen gegen das, was er als die »kommunistische Infiltration« Amerikas ansah.
Scott Walker sieht sich also konfrontiert mit einer langen, streitbaren Tradition in Wisconsin, bei der es um Gewerkschaften geht und um Freiheit. Der 4 4-jährige Sohn eines Baptistenpfarrers aus Colorado und frühere Pfadfinder ist Berufspolitiker, von einem kurzen Job beim Roten Kreuz abgesehen. Er löste einen Demokraten als Gouverneur ab. Die Helden des ultrakonservativen Tea Partiers sind, wie er gerne sagt, Tommy Thompson und Ronald Reagan. Thompson war einer seiner Vorgänger, der Sozialprogramme kürzte. Walker gewann mit dem Versprechen, die Gewerbesteuern und die Steuern auf Kapitalerträge zu senken und den Staatshaushalt zu verschlanken – von 300 Millionen Dollar Sparpotenzial in zwei Jahren war die Rede. Durch die Steuersenkungen wollte er eine Viertelmillion Jobs im privaten Sektor schaffen.
Aber schon kurz nach der Wahl brach Streit aus. Nachdem
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