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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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ein bisschen versteckt, ist nicht ganz leicht zu finden, aber …« Sie lächelte keck, doch sogleich fiel ihr wieder ein, dass ihr Lächeln nutzlos war.
    Der blinde Künstler trug eine schwarze Sonnenbrille, und sein Gesicht war tatsächlich vollkommen regungslos geblieben. Das Lächeln auf Lisas Gesicht fiel in sich zusammen. Sie nahm ihr Diktaphon und schaltete es ein.
    »Nochmals vielen Dank, dass Sie zu diesem Interview bereit sind … Ich würde gerne ganz am Anfang beginnen, mit Ihrer ersten Skulptur …«
    ***
    Seine Mutter gab ihm eine Ohrfeige, packte ihn an den Armen und schüttelte ihn heftig. Dann ließ sie ihn plötzlich los und knallte die Tür hinter sich zu. Alexander liefen die Tränen übers Gesicht. Sie tropften auf die Seiten des aufgeschlagenen Buchs, das vor ihm lag, und hinterließen nasse Flecken, die sich darauf ausbreiteten. Die Buchstaben wellten sich, aus W-E-G wurde ein gekrümmter Pfad. Wie gebannt starrte Alexander auf die Buchstabenreihen, die für ihn bedeutungslos waren. Er vermochte es einfach nicht, die Zeichen zu Wörtern zusammenzufügen …
    Unter seinem kurzärmeligen Hemd zeichnete sich ein rötlicher Abdruck ab, da, wo ihn seine Mutter gepackt hatte. Er führte seinen Arm zum Mund, biss sich wie ein Blutsauger an den roten Stellen fest und fing an zu saugen. Das Blut gerann ihm unter der Haut, die Flecken wurden größer und dunkler. Er ging zum Spiegel. Auch auf seiner Wange waren die roten Fingerabdrücke seiner Mutter zu erkennen. Er schlug sich noch einige Male auf die gleiche Stelle.
    »Was verstehst du daran nicht?! Warum kannst du dir das denn nicht merken? Was für ein Buchstabe ist das hier? Ein W! … Das ist ein E, und das ein G … Also, was heißt das nun? Na? Was ist bloß mit dir los? Das heißt WEG! Und was steht hier? H – A – U – S! Haus! Das hab ich dir doch schon x-mal gesagt! Tausendmal habe ich dir das schon erklärt!«, hörte er seine Mutter wieder schreien.
    Vor Wut und Scham wurde er ganz rot im Gesicht, und resigniert ließ er sich auf den Stuhl fallen.
    Am nächsten Morgen verbiss er sich noch einmal in die roten Stellen an seinen Armen und erschien dann so beim Frühstück. Die Mutter war entsetzt, als sie das Gesicht und die Arme ihres Sohnes erblickte. Kreidebleich und zitternd strich sie ihm über den Kopf. Während des Frühstücks wandte sie kein einziges Mal die Augen von ihm ab. Bevor er aus dem Haus ging, rieb sie seine Blessuren mit Salbe ein und brachte ihn wortlos zum Schulbus.
    »Alexander, hast du schon wieder deine Hausaufgaben vergessen? Was ist denn los mit dir? Willst du nichts lernen?«, fragte die Lehrerin, die vor seiner Bank stand. »Wenn du schon zu Hause nichts tun willst, dann versuch doch wenigstens hier, etwas zu lernen. Komm schon, steh auf!« Sie ging nach vorne, nahm den langen Zeigestab und tippte damit auf eines der Wörter, die groß an der Tafel standen. »Lies das vor! Das haben wir ja schon letzte Woche gelernt …«
    Verzweifelt blickte Alexander nach vorne. Die anderen Kinder fingen an, miteinander zu tuscheln. Als sich sein Stillschweigen immer länger ausdehnte, hörte man von hier und dort schon das erste leise Kichern.
    »Ruhe!«, rief die Lehrerin und klopfte an die Tafel. »Was steht da? Ein W«, sagte sie ihm vor.
    Alexanders Augen leuchteten auf, er erinnerte sich an das Schimpfen seiner Mutter und rief:
    »WEG!«
    »Genau, richtig! Und weiter?«, fragte die Lehrerin, indem sie mit dem Zeigestab zum nächsten Wort weiterging.
    Vor Anspannung fing Alexander an zu zittern.
    »Also? Ich höre …«
    Die drei aneinandergereihten Zeichen waren für Alexander vollkommen nichtssagend. Ganz kurz glaubte er, eines davon erkannt zu haben, irgendetwas damit in Verbindung bringen zu können. Aber dann war es ihm wieder entglitten, und er zuckte mit den Schultern.
    »U«, sagte ihm die Lehrerin wieder vor.
    »Uhu?«, fragte er unsicher, und sofort brach in der Klasse Gelächter aus.
    »Uuuhuuu! Uuuhuuu!«, äfften die Kinder ihn nach.
    »Ruhe!« Die Lehrerin klopfte wieder laut an die Tafel. »Alexander, die ersten beiden Buchstaben sind ja schon mal richtig, U und H. Aber hier, welcher Buchstabe ist das hier?« Sie tippte auf den dritten Buchstaben.
    Alexander ließ den Kopf sinken und versuchte, den dicken Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken.
    »Du kennst den Buchstaben doch, also sag ihn mir«, sagte die Lehrerin geduldig.
    »Ich kann ihn nicht sehen«, presste er schließlich hervor.
    »Du

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