Techno der Jaguare
»Ich darf nie vergessen, wie der Mensch ist, und vor allem, wie individuell er ist … Sie zum Beispiel … Was Sie haben, hat niemand sonst.«
»Aber das gilt doch für jeden.« Lisa zuckte mit den Schultern und lächelte verlegen.
»Halten Sie die Schultern still. Natürlich gilt das für jeden, aber für Sie ganz besonders …« Alexander berührte ihr Gesicht.
»Schade, dass ich das nicht in mein Interview einbringen kann«, ließ sich Lisas heitere Stimme hinter seinen Fingern vernehmen.
Alexander strich ihr sanft über die Nase.
»Aber Sie haben doch auch Assistenten, oder?«, fuhr Lisa fort. »Irgendwo habe ich gelesen, dass die Ziffern der Uhr von jemand anderem gemacht wurden.«
Seine Hände wurden kälter. Und wieder spürte Lisa diese unbegreifliche, unterschwellige Aggression.
»Ich bin Bildhauer und kein Mathematiker«, sagte er barsch und richtete sich auf.
»Also stimmt es, dass die Ziffern von einem Assistenten gemacht wurden?«
»Ja. Was hätte er denn sonst machen sollen?« Alexander war plötzlich verärgert.
Lisa schwieg. Ihr fiel ein anderes seiner Werke ein, von dem sie gelesen hatte, dass ein Assistent daran beteiligt gewesen sei – die Skulptur der verschollenen Seemänner, auf deren Mützen ihre Namen standen. Aber sie zog es vor, ihn nicht noch wütender zu machen, und fragte daher nicht weiter nach.
Lisa fragte sich, warum sie eigentlich so rücksichtsvoll mit ihrem Interviewpartner umging. Die ganze Zeit über versuchte sie, seine Stimmungen zu ergründen und alle seine Wünsche zu erfüllen. Manchmal konnte sie es selbst kaum glauben, dass sie hier irgendwo im Wald, halbnackt, im Haus eines verschrobenen Bildhauers saß und diesem Mann erlaubte, alles mit ihr zu machen.
›Alles? Was denn genau?‹, überlegte Lisa. Alles, was Männer eben wollen. Allerdings schien sich Alexander nur für seine Arbeit zu interessieren. Sie hingegen … Lisa ärgerte sich über sich selbst, darüber, dass sie sich in eine einzige erogene Zone verwandelt hatte und es auf ihrem Körper keinen Fleck mehr gab, der die Berührungen des Bildhauers teilnahmslos hingenommen hätte. Wahrscheinlich war es eben dieses Gefühl, das sie erschöpfte …
Bevor sie ging, überreichte ihr das Dienstmädchen einen Umschlag mit dem Honorar für die zwei Tage. Lisa wollte es zuerst nicht annehmen, aber ihr fiel nichts ein, womit sie eine Ablehnung hätte begründen können.
Völlig entkräftet kam sie in ihrem Hotelzimmer an. Sogleich übertrug sie die Fotos von ihrer Kamera auf den Laptop. Dann nahm sie das Diktiergerät und legte sich aufs Bett. Als sich das Alphabet von A bis Z auf dem Bett ausgestreckt hatte, verspürte Lisa Erleichterung. Sie schaltete das Diktiergerät auf Wiedergabe.
Und da hörte sie Alexander singen. »Feelings, nothing more than feelings …« Eigentlich war es weder ungewöhnlich noch erstaunlich. Er war allein im Zimmer und sang vor sich hin. Wer hätte denn noch nie ein Lied gesungen?! Vor allem, wenn man gut gelaunt ist …
»Nein, Lisa. Auch ich kann meine Gefühle nicht zurückhalten«, hörte Lisa auf einmal seine Stimme und richtete sich auf. »Lisa!«, sagte Alexander lauter.
Sie hielt den Atem an und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Diktiergerät.
»Warum? Warum bist du nur zu mir gekommen?« Und nach einer Pause von einigen Sekunden: »Und warum soll ich eigentlich meine Gefühle zurückhalten, wenn du bei mir bist?!«
Dann waren die leisen Schritte nackter Füße zu hören, gefolgt von lauteren Schritten.
»Bitte, bedienen Sie sich«, hörte sie den Diener sagen, und Gläser klirrten.
»Die nächsten Fragen können Sie mir stellen, ohne dass Sie stillsitzen müssen, einfach so, ›italienisch‹«. Alexanders Lachen war zu hören. »Wir machen zehn Minuten Pause.«
Wie versteinert starrte Lisa das Diktiergerät an. Sie spielte diese Stelle immer wieder ab. Aber sie hatte nicht mehr die Kraft, die Geschehnisse und ihre eigenen Gefühle einer Analyse zu unterziehen, daher schloss sie die Augen und ergab sich ihren Träumen.
Als sie am Morgen aufwachte, hatte sie noch immer das Diktiergerät in der Hand. Abermals hörte sie sich Alexanders Lachen und sein Geständnis an. Sie ging unter die Dusche. Das Alphabet verschwand unter dem Schaum, um dann auf der nassen, schimmernden Haut umso deutlicher wieder zutage zu treten. In Lisa reifte eine Idee. Sie suchte im Schrank nach ihrem schwarzen Kleid, nahm dessen Stoffschleife ab und verband sich damit
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