Techno der Jaguare
Tochter. Ist bestimmt hart, Lena, bestimmt hart, wenn die Dinge nicht so aufgehen wie geplant, nicht?
lena Ich verstehe nicht ganz.
laura Doch, tust du. Tust du genau. Ist nicht so aufgegangen, oder? Ich meine, die Rechnung. Zwei Kinder, zwei abwesende Männer, man selber ist abwesend. Alles schön zusammen geht nicht. Damit muss man erst leben lernen. Damit muss man klarkommen. Ist verdammt ungerecht, wenn die Rechnung nicht aufgeht, und man steht da und fragt sich: Warum, um Gottes willen, warum geht das nicht auf? Ich habe doch alles gegeben, ich meine richtig 100 Prozent, und dann haut es nicht so ganz hin, und man schaut zurück, und so viel Zeit ist vergangen, so viel Zeit ist vergeudet, die beste Zeit eigentlich. Die Zeit, die einem selber gehören sollte. Die eigene Zeit. Meine Zeit. Deine, Lena. Und dann, husch, ist alles weg. Alles, woran man sich festgehalten hat. Was man zum Eigenen erklärt hat. Aber nein, die Rechnung, die geht nicht auf, das Leben macht winke, winke, und du stehst da, aber außen vor, und kannst nicht mehr eingreifen, weil deine Zeit, weil deine Zeit – husch und weg war. Weil du eben gedacht hast, in den Mann investieren, in das Kind investieren, und wenn die Zeit kommt, in der man auch mal in sich investieren will – dann ist es schon zu spät. Dann sind die Reserven aufgebraucht, und die anderen, sie haben ihr eigenes Leben, da will keiner mehr was für dich aufbringen. Ist doch so, nicht wahr, Lena? Nimm es nicht persönlich, aber ich meine, wäre deine Rechnung aufgegangen, müsstest du nicht hier sein, während deine Kinder woanders sind und du schuftest und schuftest, nur um sie großzuziehen und dann …
lena Dann werden sie groß und leben ihr Leben.
laura Aber das ist doch nicht alles? Wo bist du? Wo sind deine Wünsche, Bedürfnisse, deine Sehnsüchte? Wann kommst du mal dran, Lena?
lena Ich bin ja schon dran.
laura Ach, das ist doch eine große Lüge. Eine Lüge, an der wir uns festklammern müssen.
lena Könnte ich …
laura Weil, wenn wir es nicht tun, dann schwimmt uns der Boden unter den Füßen. Dann sind wir auf eine absurde Art und Weise vielleicht unwichtig, vielleicht verlieren wir den Sinn. Die Berechtigung wird uns entzogen, Lena. Das ist es ja. Denn, die Welt sagt doch, das und das musst du machen, erfüllen – für deine Familie musst du sorgen, für deinen Mann, für dein Kind, und dann tut man es, und irgendwann lacht die Welt über einen und meint: Na ja, und was hast du all die Zeit getan? Du, du selber? Dann schaut man mit großen Augen auf und weiß nicht weiter.
lena Ich würde jetzt gern einkaufen gehen.
laura Du verstehst nicht, was ich sage, oder? Du hörst mir nicht zu! Das ist verdammt wichtig! Das musst du tun, das ist … Verstehst du? Verstehst du mich?
lena Gibt es ein Problem? Könnte ich was tun?
laura Ja, verdammt, es gibt ein Problem, ein großes Problem, und das versuche ich dir zu erklären, weil ich weiß, dass du dieses verdammte Problem auch hast, und ich will, dass du einfach sagst, dass du mich verstehst … Dass du verstehst, was ich meine!
lena Ich verstehe!
laura Ich werde sterben, Lena. Ich werde verrecken. Mein Magen, meine Brust, meine Speiseröhre – all das wird sich in einen großen, braunen, blutigen Brei verwandeln, und ich werde dahinsiechen. Ich werde Blut spucken, mich im Schlafzimmer einsperren und werde verrecken. Werde schon aus zehn Metern Entfernung nach Tod und Verwesung riechen. Alle, die mich ansehen, werden den Kopf schütteln und sich unangenehm berührt fühlen. Alle, die mich anfassen, werden sich kurz danach die Hände waschen. Alle, die meinen Atem spüren, werden sich danach übergeben. So wird es kommen, Lena. Und dann, wenn ich verreckt bin, werde ich vergessen werden. Werde ersetzt. Werde ausgetauscht. Als hätte es mich nie gegeben. Als wäre ich eine kleine Lückenschließerin, bis der bessere Teil kommt, bis der richtige Teil kommt. Funktion erfüllt. Mission vollendet. Das Ersatzteil wird endlich mal verschwinden. Aber weißt du was, Lena? Ich lasse es nicht zu. Ich werde es verhindern. Das können sie sich abschminken! Wenn mein Leben mich schon an der Nase herumgeführt hat, so werde ich den Tod nutzen, um ihm eins auszuwischen. Der Tod wird milder sein als das Leben.
5.
Da, wo einen keiner finden kann. In der eigenen Blutlache vielleicht, die für andere immer unsichtbar bleibt?
laura Ich habe immer
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