Techno der Jaguare
Basta. Punkt. Aus. Ich war einfach nur die Küchenfee und die Wartende und die Ins-Bett-Bring-Maschine, und der Wecker war ich auch. Und dann, wenn die Kinder mal weg waren – so eine kleine Wochenendablenkung –, wenn sie mal bei den Großeltern waren, dann, ja, dann fehlten sie mir, weil ich ja im dauernden Schlechtes-Gewissen-Modus lebte. Weil ich Märtyrerin aus Überzeugung geworden war. Verdammte Scheiße. Und dann bin ich manchmal weg, einfach so, aufgestanden und nachts in die Bar, und da gab es einen Typen, der hatte immer Gospelmusik laufen, in der Bar, und es war toll. Habe gedacht – da, wo diese prallen Weiber diese unglaubliche Musik aus sich herausholen, wo sie mit solch einer innigen Überzeugung den LORD anpreisen, da, da muss es Glück geben. Am Osten liegt es. An diesem scheiß Land. An diesen scheiß Männern, die so lange funktionieren, so lange gut sind, solange auch das scheiß System funktioniert. Und dann, bing, und kaputt sind sie, mit dem Land zusammen. Habe ich mir gedacht. Und arbeiten wollte ich und so singen wie die prallen schwarzen Frauen. So glücklich wollte ich den LORD anhimmeln, anbrüllen und von meinem Glück und von seiner schützenden Hand – über meinem Haupt – berichten. Ja, so stellte ich mir damals mein Glück vor. Mein persönliches, westliches Glück. Und vor ein paar Jahren, als die Grenzen schon offen waren, als das Land schon verfaulte, da kam ein kleiner Gospelchor aus Brooklyn zu uns. Eine kleine Glücksperle inmitten der Finsternis, und ich habe meinen zweiten, letzten Ehering zum Pfandhaus gebracht und bin dahin. Ganz allein. Heimlich bin ich dahin. Es war warm und hell und voll, und sie waren alle genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte: prall, glücklich, westlich, lachend, voller Power, voller sexueller Energie, ja, die hatten sie auch, und fast schon ketzerisch war das, nicht wie diese perversen, gequälten, ins Jenseits strebenden Orthodoxen mit ihren gruseligen Tönen, die immer den Tod und das Leid besingen und Reue zeigen und um Gnade bitten, nee, ganz anders war das, ja, blasphemisch würden die Orthodoxen sagen, blasphemisch, voller Gier und Lust sangen sie von Glück und von dem LORD, der ein super Typ sein musste, nicht so ein rachedurstiger alter Sack, nee, so ein schwarzer Adonis, so ein cooler, smarter, westlicher Kerl, der alles im Leben mit links meisterte und der immer da war, für seine prallen Weiber, für seine gesunden Kinder, lebenshungrig und lustgierig. Wie gut das doch war … Und da, da dachte ich, du musst gehen, gehen, Lena. Dinge ändern. Das Land wird dich verderben, die orthodoxe Kirche wird dich verderben, das, was deine Mutter dir beigebracht hat, wird dich verderben. Nee, echt nicht. Systeme sind tot, das Land ist tot, die Männer sind tot. Du bist da – mit deinen Kindern, denen du was Besseres bieten solltest. Nämlich Glück, nämlich mehr Freiraum, nämlich freie Liebe, nämlich westliche Werte, nämlich diese Lust und Gier nach den schönen Dingen des Lebens. Ja, du musst ihnen goldene Ponys bieten – mit so weichem Haar, die »Golden Beauty« heißen, du musst ihnen Städte bieten, die alle cool klingen, wie Salt Lake City, Sacramento, Indianapolis, Milwaukee, und Disney Land bieten und den schwarzen Adonis als Gott – der immer für sie da ist. Da ist es mir klar geworden, halt. Ich bin nach Hause, es hat geschneit, das weiß ich noch, und ich dachte, scheiß auf den Bus, du läufst die Strecke, und unterwegs habe ich gesungen, immer, diese super Lieder, habe den LORD besungen und mein bevorstehendes Glück. Was für eine scheiß Verarschung. Was für ein Mist, das Ganze! Hätte ich damals mehr Englisch gekonnt, hätte ich es gerafft, dass es so eine dämliche Illusion war, nicht mehr. Hätte ich mir doch diese prallen Weiber ein wenig genauer angesehen, hätte ihre Verzweiflung herausgehört und nicht ihre Lust. Hätte ich … Na ja, nutzt jetzt wohl wenig. Bis nach Europa habe ich es geschafft. Nee, nur in dieses verdammte, uralte, greise Europa, das ins Altersheim gehört. Wo ich, ja, dass ich nicht lache, wo ich als prall und lebensgierig gelte. Dass ich nicht lache … Wo es schon als voll mutig und verrucht gilt, zu rauchen, wo es schon voll gewagt ist – kein Sparkonto zu haben. Wo es schon voll was Großes ist, wenn man keinen Salat zu seiner Lasagne bestellt – als eine Art »Gewissensreinigung«. So ein Mist. Und diese Ich-Archivierung macht mich krank. Ich sammele keine Briefmarken, keine
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