Techno der Jaguare
Kinoeintrittskarten, keine Flugtickets, Postkarten schreiben tue ich auch nicht. So ein Mist, sage ich nur. Diese Angst, spurlos zu verschwinden. Männer, Länder verschwinden spurlos, da macht meine Kinokartensammlung mein Leben auch nicht bedeutungsvoller. Zum Kotzen – diese Verarschung. Und dass ich so dämlich war, an den LORD zu glauben, der meinen Weg »guiden« könnte, meinen Weg in die große, pralle, schillernde Welt der Möglichkeiten. Na ja, manchmal denke ich, wenn du ein wenig Kohle angesammelt hast, wenn du nicht mehr die Melkkuh für die Hinterbliebenen deines Landes bist, dann, ja, dann kaufst du dir ein Auto, lädst es voll, setzt dich rein, machst irgendeinen geilen Gospel an und fährst los. Machst eine Reise. Schaust dir die Reste des Glücks an – auf diesem verkommenen Kontinent, des Glücks, das irgendwelche Leute auf der Strecke liegen gelassen haben, und eventuell hast du ja ein wenig Glück und kannst was aufsammeln und fährst dann heim. Und die Kinder sind schon aus dem Haus, in ihrem neuen Leben, wofür du deines aufgegeben hast – fremde, westliche Ärsche putzend –, kaufst dir ein kleines Häuschen auf dem Land und legst einen Garten an, ganz unspektakulär, und stellst da den Plasma-Fernseher hin, den du aus dem Westen mitgebracht hast, setzt dich auf die Couch und atmest tief durch. Und nimmst an, was dir dein Leben bietet, all die scheiß Optionen nimmst du an und wirst glücklich. Nimmst es an. Im falschen Land geboren worden zu sein, nimmst es an, dass es in einem anderen Land auch nicht besser ist, außer dass sie dort Zentralheizung haben und es in Supermärkten erlaubt ist, bevor man bezahlt, die Ware schon zu kosten; nimmst es an, dass die Männer dir außer Beulen und dicken Bäuchen nichts hinterlassen haben; nimmst es an, dass deine Mutter dir Blödsinn erzählt hat, nimmst es an, dass du leer bist, dass deine beste Zeit hinter dir liegt, und hörst dann Yolanda Adams. Bis zum Schluss. Hörst Yolanda Adams.
8.
Im Schlafzimmer. Auf dem heiligen Schlachtfeld, wo jede Nacht die Köpfe rollen.
lena Und was willst du tun?
laura Wie meinst du das?
lena Na ja, gegen den Tod?
laura Wie bitte …
lena Du siehst nicht gut aus. Ich glaube, du solltest deine Schlafmittel nehmen und schlafen gehen. Vergessen tut ab und zu Wunder, glaube mir. Das Essen ist fertig, und wenn dein Mann kommt, werde ich ihm sagen, dass du Kopfschmerzen hattest und dich hingelegt hast. Er wird es verstehen. Und den Apfelstrudel für morgen werde ich heute Nacht fertig machen. Keine Sorge. Ich schaffe das schon. Ach ja, und deine Medikamente habe ich dir rausgesucht und auf den Nachttisch gelegt.
laura Darum habe ich dich nicht gebeten. Was bildest du dir eigentlich ein? Weißt du, wer du bist? Oder hast du es schon vergessen? Ein Niemand. Nur weil ich dir die Aufgaben erteile, nur weil ich dich zu dem mache, was du bist, bist du wer. Was denkst du dir eigentlich …
lena Nichts, außer dass es dir verdammt schlecht geht und du dir mal ein wenig Ruhe gönnen könntest.
laura Halt den Mund, halt den Mund, halt den Mund!
lena Ist ja gut, komm her … Ist schon okay. Du bist krank. Du bist schwer krank, und es ist okay, wenn du dich hinlegst, Laura.
laura Verdammt! Ich will mich nicht hinlegen. Liegen werde ich zur Genüge. Im Schrank da, da muss eine Whiskyflasche stehen, öffne sie und schenk uns was ein … Ich hasse dich für deine gesunde, strahlende, bäuerliche Haut, weißt du das, Lena? Ich hasse deine Pfoten, die so stark sind, dass sie noch zehn meinesgleichen überdauern werden. Ich hasse den Abdruck deiner protzenden Potenz, Lena. Ich hasse deine blöde russische Mir-doch-alles-egal-Haltung. Ich hasse … Es tut mir leid. Es tut mir leid. Ja, trink du auch, trink mit mir. Komm, Lena, verzeih mir. Es tut mir leid. Es wird nicht mehr lange dauern. Immerhin habe ich noch meine Haare und Augenbrauen. Ja, die habe ich noch. Meine Würde hat mir dieses verdammte Geschwür nicht genommen, auch wenn es mich innerlich in einen lebendigen Sarg verwandelt hat, so habe ich doch noch mein Antlitz und meine Würde. Ja, ist gut, was? Trink, Lena. Trink. Du kannst bestimmt was vertragen. Ihr Russen könnt doch alle …
lena Ich bin keine Russin.
laura Ach, ist doch egal. Ist doch egal, woher wir kommen, wer wir sind. Wir enden alle gleich, gleich elend und allein. Nicht? Denkst du, deine russische Haut und deine proletarische
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