Tee macht tot
ausreichend war.
Rein willkürlich schenkte sie ihren Tee allerdings nie aus, das wäre in ihren Augen nicht rechtens gewesen. Das tat sie nur, wenn es sich, wie sie glaubte, um einen hoffnungslosen Fall handelte. Und hoffnungslos war ein Fall nur, wenn der- oder diejenige von selbst nach Tee verlangte. Lediglich dann brühte sie ihre Mischung mit diesen nur im Herbst blühenden Pflänzchen auf, die aussahen wie Krokusse. Aber die pflückte sie nicht für heute Abend, schließlich war nicht Donnerstag, sondern Mittwoch. Und Mittwochsabend fand die reguläre Teeparty statt. Jeden Mittwochabend, da war Esther Friedrichsen sehr akkurat. Später würde sie auch hierfür noch die Kräuter vorbereiten müssen, aber das hatte noch etwas Zeit.
Um sich die Zeit des Wartens zu vertreiben, schenkte sie ihren alten Beinen eine Pause und ließ sich in Gesellschaft eines Buches ächzend auf ihrer Couch nieder. Ihre geschwollenen Beine benötigten unbedingt etwas Ruhe. Auch ein kleines Nickerchen würde sicherlich nicht schaden.
Als Seniorin konnte sie sich das durchaus erlauben. Und solange es ihre regelmäßigen Beschäftigungen nicht beeinträchtigte, gönnte sie sich das auch.
6
Wie die meisten Bewohner des Seniorenheims St. Benedikta, war auch Esther Friedrichsen eine Seniorin mit Gewohnheiten. Und diese Regelmäßigkeiten hatte sie vor, bis zu ihrem Lebensende auch weiterhin so zu handhaben.
Jeden ungeraden Samstag im Monat ging sie zur Beichte. Den ersten und dritten Freitagnachmittag ließ sie sich deswegen auch die Haare wickeln. So konnte sie am Samstagmorgen mit frisch gewickeltem Haar auf die Straße hinaustreten, diese überqueren, den Friedhof passieren und in der kleinen Kapelle vor Pfarrer Johann ihre Beichte ablegen.
Damit dies auch weiterhin so blieb, kam die rollende Friseurmeisterin Helena Jakubitsch mit ihrem Koffer voller Wickler, Kämmen und Scheren eigens ins Haus.
Esther Friedrichsen plauderte gerne mit Helena; diese war aufgrund ihrer polnischen Herkunft zwar sprachlich etwas unsicher, dafür aber umso herzlicher und was noch wichtiger war, diskret. Vertrauten ihr doch viele Menschen ihre kleineren und größeren Geheimnisse an, die es sicher zu verwahren galt. Esthers Hilfsbereitschaft, für jedes Zipperlein das passende Kraut zuzubereiten, kannte sie. Gerne ließ sich Helena die eine oder andere Teemischung servieren, während sie Wickler um Wickler in das graue Haar ihrer alten Kundin drehte. Nur von dem Donnerstagstee hielt sie verständlicherweise Abstand.
So wichtig wie Esther ihre Beichtfrisur war, so wichtig war ihr aber auch ihr mittwöchlicher Teeabend, den sie ebenfalls regelmäßig im Gemeinschaftsraum des dritten Stockes abhielt, und gleichermaßen der Dienstagskurs um 1 5:30 Uhr. „Qi Gong im Alter“ war eine Leibesertüchtigung mit dem erklärten Ziel, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Was half denn ein fitter Geist, wenn die Hände oder die Beine, oder gar beides nicht mehr ihre Arbeit verrichten wollten? Dagegen, was half ein fitter Körper, wenn man so senil war, dass der Löffel den Mund nicht mehr fand? Der Einklang von Körper und Geist hatte so seine Vorteile, wie Esther feststellte; dieser Vorteil mündete in einen anderen Vorteil, den sie gerne, ebenfalls regelmäßig, in der Seniorenwerkstatt im Keller von St. Benedikta auslebte. Immer am Freitagabend.
Aus der Einheit von Körper und Geist entsprang die Kreativität, die dank ihres gesunden Körpers und des fitten Geistes so manch kunterbuntes Erzeugnis hervorbrachte, welches wiederum für den guten Zweck auf dem Seniorenflohmarkt angeboten wurde. Drei Mal jährlich wurde die Eingangshalle zu diesem Zweck mit Tischen bestückt. Immer in Viererreihen, da genügend Platz für eventuelle Notfälle bleiben musste. Da ließ der Rohrasch keine Diskussionen zu, dafür spendierte er aber ein Kuchenbuffet, das vom Starnberger Konditormeister R. Müller geliefert wurde und sich allgemeiner Beliebtheit erfreute. An Nichtflohmarkttagen bekam man schließlich nur Kuchen, der mit weniger Zucker, mit weniger Sahne, mit weniger Glasur vom Küchenpersonal gezaubert wurde. Alles in allem nicht schlecht, aber was eine richtige Sahnetorte sein wollte, brauchte schon etwas mehr von allem.
Der Rohrasch wäre aber nicht der Rohrasch gewesen, wenn er die erhöhte Süßspeisenaufnahme nicht genau durchdacht hätte. Ein klein wenig mehr Zucker, schon zückte der Senior seinen Geldbeutel deutlich lieber. Das
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