Tee macht tot
eingenommene Geld wurde dem zur Verfügung gestellt, dessen finanzielle Mittel nicht ausreichten, um sich die kleinen medizinischen Freuden zu leisten, die man gerne hätte. Wer beispielsweise einen elektrischen Rollstuhl wünschte, dem aber die Krankenkasse nur einen mechanischen zur Verfügung stellen wollte, konnte damit den Eigenanteil eines elektrischen bezahlen.
Balthasar Sebastian Rohrasch war der Meinung, dass sich gegenseitige Hilfe günstig auf das Miteinander auswirke. Das positive Glücksgefühl, das mit dieser Geste ausgelöst wurde, hatte wiederum Konsequenzen für die Verweildauer, die bekanntlich sein erklärtes Ziel war. Wer sich auch im Alter noch gebraucht fühlte, hatte eben bedeutend mehr Lebenswillen.
Auf dem letzten Event dieser Art, dem ein Töpferkurs vorausgegangen war, hatte Esther Friedrichsen ihre Obstschale dem guten Zweck gestiftet. Die glich zwar bestenfalls einer Toilettenschüssel, als einem Vitaminbehältnis, aber der gute Zweck lässt bekanntlich so manches durchgehen.
Danach startete der Gipskurs. Den mochte sie fast noch lieber als den Töpferlehrgang. Letzte Woche hatte sie ihre faltige Hand zur Faust geballt und hiervon einen Abdruck gemacht. So wie sich das Esther in ihren schöpferischen Gedanken ausgearbeitet hatte, sollte diese Faust, wegen der hübschen Divergenz, einmal ein getrocknetes Lavendelsträußchen halten. Sein Duft verbreitete eine Stimmung von Gelassenheit und innerer Ausgeglichenheit, was so mancher durchaus vertragen konnte. Davon wollte sie insgesamt zehn Stück herstellen. So etwas würde sich sicherlich verkaufen, wie geschnitten Brot, glaubte sie.
Besonders gespannt war Esther Friedrichsen aber auf den Abdruck von Lore Lotter. Deren massiger, von der Erdanziehung nicht unbedingt zum Vorteil profitierender Busen hatte zu einem amüsanten, aber kontroversen Abend veranlasst.
Esther Friedrichsen hatte sich bereit erklärt, Lore Lotter vom zweiten Stock dabei behilflich zu sein, Lage um Lage Gips aufzulegen. Entgegenkommend boten die Herren des Kurses ihre Hilfe beim Glätten des Gipses an.
Darüber konnten die frigide Erna und die kupfergefärbte Christine vom ersten Stock jedoch nur den Kopf schütteln. Das frivole Verhalten von Lore Lotter war doch mehr als befremdlich. Peinlich berührt, konnten sie aber den Blick von diesen bammelnden Dingern nicht abwenden. Es war wie bei einem Unfall, der das ganze schicksalhafte Elend dem Schaulustigen vor Augen führte.
Lore ließ das Ganze jedoch kalt und Esther ebenfalls. Die fand, dass man auch mit 75 Jahren durchaus noch seine Reize zeigen durfte, wenn man sie denn hatte oder zu meinen glaubte, dass man sie noch hatte. Außerdem gehe es hier um Kunst, und Kunst liege ja immer im Auge des Betrachters.
Die Herren hatten dem nichts hinzuzufügen, außer, dass damit bewiesen sei, dass Männer, ein besseres Auge für Kunst hätten.
So war ein regelmäßiger Tag nach dem anderen vergangen, und die schwierigste Jahreszeit für die Rentner war ins Land gezogen. Als Esther Friedrichsen um den Donnerstagstee gebeten wurde, lag ein milchiger Tag vor ihr, der sich auch bis zum Abend nicht bessern würde.
Sie stand an ihrem Fenster und beobachtete, wie der Schneeregen auf die Wiese platschte, um auf der Erde zu einer matschigen Brühe zu verschmelzen. Den ganzen Tag hatte sich niemand nach draußen begeben. Kurz öffnete sie die Fenster, um etwas frische Luft hereinzulassen. Von ihrem Fensterbrett, auf das sie im Winter Meisenknödel und Sonnenblumensamen auslegte, flog erschreckt ein Spatz davon. Das tat Esther leid. Von seinem Futter vertreiben, wollte sie ihn ganz gewiss nicht. Aber nachdem nun schon das Fenster geöffnet war, nahm sie ein paar kalte Atemzüge und schaute auf die Wiese hinter dem Park. Schlafend lag sie unter einer weißbraunen Decke.
Esther schloss das Fenster wieder und hinkte zu ihrem Kräuterschränkchen, um die Donnerstagsmischung vorzubereiten. Sie spürte ihr Bein, was bei diesem nassen Wetter stärker schmerzte.
Ja. Der Winter konnte einem schon mächtig auf die Befindlichkeit schlagen. Das ständige Grau in Grau, die kurzen diesigen Tage und der seltene Sonnenschein ließen den ein oder anderen gerne mal vor Stumpfsinnigkeit sterben. Bei dem Gedanken musste Esther Friedrichsen schmunzeln. Während sie diese Zeit als das hinnahm, was es war, nämlich die Zeit, in der der Mensch den Rückzug, genauso wie die Natur, plante, fürchtete der Heimleiter Balthasar Sebastian
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