Tee macht tot
heimliche Liebe zu ihr war viel zu wertvoll und zu schön, als dass er dies durch ein öffentliches Bekenntnis gefährden wollte. Seine Schäkereien lebte er in anderen Zimmern aus, es gab schließlich genug davon.
Als Agatha an diesem Morgen den Speisesaal betrat, registrierte er das genauso wie Ester Friedrichsen.
Griesgrämig blickte Agatha drein, für seinen Geschmack etwas zu sehr, aber probieren wollte er es dennoch. Solche Frauen wie Agatha weckten seinen Jagdinstinkt und dank seiner Ausdauer hatte er noch jede zu einem kleinen Stelldichein verführen können. Vielleicht konnte er ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubern, überlegte er. Eine lachende Frau war immer attraktiv, egal, welches Alter sie auch hatte.
Inzwischen hatte Agatha den Tisch des dritten Stockes erreicht und blieb davor stehen. Provozierend wartete sie auf eine Reaktion, die auch prompt von Esther Friedrichsen kam. Bereit, ihr Frühstück zu unterbrechen, stand sie auf und nahm sie an der Hand. Die unerfreuliche Begrüßung wollte sie ihr gerne verzeihen. „Darf ich euch unseren Neuzugang vorstellen?“, bat Esther ihre Mitbewohner um Aufmerksamkeit. „Agatha Beinhard, wenn ich mich recht erinnere?“
„Hm ...“, brummte Agatha, verzog jedoch keine Miene.
„Hallo Agatha“, grüßten die Weißhäupter, wie aus einem Munde.
Gleich darauf begann Esther, ihren illustren Freundeskreis einzeln vorzustellen. „Hier haben Ursula, Ingrid, Reinhold und seine Frau Frieda, Jutta und die Teiflers.“
Während Esther immer noch die Hand von Agatha festhielt, ging sie einmal um den Tisch herum und zog den Neuzugang einfach mit. „Und hier sitzen Gerda, Waltraud und unser Charmeur Lenni.“
Bis die Runde vollzählig war, hatte Esther noch einige weitere Mitbewohner namentlich erwähnt, aber Agatha hatte bereits beim zweiten Namen schon nicht mehr zugehört.
Endlich führte Esther sie an einen freien Platz.
Während man sich wieder fröhlich und voll Tatendrang dem Frühstück zuwandte, musterte Agatha jeden Einzelnen von ihnen. Sie betrachtete Falten, Altersflecken, graue Haare oder Glatzen, Gebiss- und Krückenträger. Sie kam sich vor, als wäre sie in der Selbsthilfegruppe der Stützstrumpfmafia gelandet, woraufhin sie verächtlich den Mund verzog. Diese Gruppe hier hatte locker 1.500, wenn nicht sogar 2.000 Jahre auf dem Buckel. Und als ob ihre Gedanken nicht schon gehässig genug waren, verkündete sie dies offen und für alle hörbar.
Ein entsetztes Raunen ging durch die Runde, was Agatha ein müdes Lächeln entlockte.
Mühsam versuchte Esther, die aufgebrachten Senioren wieder zu beruhigen. Das hätte sie doch sicherlich nur ironisch gemeint. Fragend starrte sie Agatha dabei an.
„Nein!“, schüttelte diese den Kopf. „Das, was ich sage, meine ich auch so!“ Herausfordernd guckte Agatha in die Runde. Sie war gespannt, wer von den Alten den Mut hatte, sich gegen sie zu stellen. Doch so wie es immer war, getraute sich keiner, gegen ihr böses Mundwerk vorzugehen.
Misstrauisch studierte Ingrid van Brekelkam die Szene, dann beugte sie sich zu ihrer Freundin Esther Friedrichsen. „Sie sollte sich wirklich vor dieser Frau hüten!“, flüsterte sie.
Nachsichtig schüttelte Esther den Kopf. „Denk nicht so schlecht!“ Esther glaubte an das Gute im Menschen, und wenn man nur genug Geduld aufbrachte, konnte man selbst den Teufel zum Guten verleiten. Sie wollte Agatha die Umstellung in ihr neues Leben wirklich erleichtern und glaubte, dass sie schon alles einrenken werde. Diese Frau hatte sicherlich ein nicht unerheblich schweres Leben gehabt, weshalb man sie nicht zu vorschnell verurteilen durfte.
Ingrid war seit dem Tage ihres Kennenlernens von Esthers Gutmütigkeit beeindruck gewesen, doch diesmal verstand sie die Blindheit ihrer Freundin nicht. Es war doch offensichtlich, dass Agatha keinen Hang zur Liebenswürdigkeit besaß. Ingrid beharrte auf ihrer Meinung und wandte sich ab. Nein, mit Agatha wollte sie nichts zu tun haben, wie einige der anderen auch.
Doch auch Leonhard, alias Lenni, verschloss die Augen vor dem Offensichtlichen und wollte sein Glück versuchen. Außerdem hatte er im Laufe der Jahre schon einige nicht sehr nette Sprüche um die Ohren gehauen bekommen, da kam es ihm auf einen mehr oder weniger auch nicht an. Und so machte er Agatha eindeutige Avancen.
„Wenn du dich einsam fühlst“, säuselte er augenzwinkernd, „kannst du gerne zu mir kommen. Für kratzende Katzen habe ich eine Menge
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