Tee macht tot
übrig.“
Doch was bei anderen Seniorinnen rote Wangen hervorrief, welche dann kichernd auf ihr Alter verwiesen, erzeugte bei Agatha nur einen galligen Blick. „Ich bin verheiratet!“, lehnte sie kurz angebunden ab.
„Ach?“, blickte er irritiert drein. Er war der Meinung gewesen, Agatha sei allein eingezogen. „Darf man fragen, mit wem?“
Da dies die anderen ebenfalls brennend interessierte, verstummte das Gespräch am Tisch. Alle schauten Agatha abwartend an.
„Wenn Sie es genau wissen wollen, mit meinem Mann, dem Versager!“ Nach 60 Jahren Ehe, in denen sie ihren Mann eigentlich nicht gesehen hatte, wollte sie sich nicht mehr die Mühe machen, sich scheiden zu lassen. Das hätte sie schon viel früher tun sollen, aber da war sie zu beschäftigt damit gewesen, das Kind von diesem Versager großzuziehen.
„Haha!“, machte Richard verunsichert. „Sie haben Sinn für Humor.“
„Wenn Sie meinen!“, entgegnete Agatha hochmütig. „Vielleicht braucht es auch eine gehörige Portion Humor, um das mickrige Potenzial, das Sie in der Hose mit sich herumschleppen, nicht allzu ernst zu nehmen.“ Sie richtete ihren Blick auf den Teller. Für Agatha war das Gespräch beendet.
Wow, das hatte gesessen! Lenni blieb der Mund offen stehen, wie auch einigen anderen. Sein Versuch war mehr als nur ins Leere gelaufen. Wie ein Kunstturner, der seinen Barren verfehlte, war er auf dem Boden aufgeklatscht. Peinlich berührt, rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. So eine Abfuhr war selbst ihm noch nicht untergekommen.
„Das war nicht nett, Agatha. Du solltest dich mehr in die Gemeinschaft einfügen!“, tadelte Esther.
Lenni tat ihr richtig leid. Dass er nicht wirklich das brachte, wovon er immer redete, war kein Geheimnis. Aber darum ging es letztendlich auch nicht. Den Seniorinnen gefiel das Drumherum, was Lenni dabei veranstaltete. So hofiert waren die meisten das letzte Mal vor 60 Jahren geworden. Ihn deswegen so auflaufen zu lassen, war nicht die feine Art. Auch wenn Lenni sie nie zu einem Stelldichein gebeten hatte, aus welchem Grund auch immer, Esther mochte Lenni dennoch oder gerade deswegen.
„Bevor du dich in meine Angelegenheiten mischst“, brauste Agatha unvermittelt auf, „sieh lieber zu, dass der ekelhafte Lavendelgeruch nicht ständig aus deinem Zimmer weht!“
Esther schnappte nach Luft. Nein, was war Agatha doch für eine ausfallende Person!
Alle gafften Agatha an. Angespanntes Schweigen machte sich breit. Wie würde die stets liebe Esther auf so etwas reagieren?
Esther hatte ihren ersten Schreck jedoch schnell wieder unter Kontrolle gebracht.„Lavendel entspannt das Gemüt. Das würde dir sicherlich nicht schaden“, entgegnete Esther trocken. Sie stocherte auf ihrem Teller herum und versuchte, den eisigen Blick, den Agatha ihr zuwarf, nicht allzu ernst zu nehmen.
Lenni stand auf und ging in sein Zimmer. Die Scham, vor aller Augen so eine Abfuhr bekommen zu haben, saß tief.
Selbst die geschwätzige Frau Teifler hatte nichts mehr zu sagen.
Zum ersten Mal war den Senioren das Essen gründlich vergangen.
„Sie hat es gesagt! Der Blick in ein Gesicht erzählt ihr alles.“ Ingrid war die Einzige am Tisch, die Agathas Ausbruch ungerührt hinnahm. Aber Ingrid war eine Person, die sich von nichts und niemanden Angst einjagen ließ. Da müsste schon ein Toter auferstehen, um sie zu beeindrucken.
Die bösen Worte beim Frühstück, waren vorerst die Letzten, die man von Agatha vernahm. Wie auch beim Mittagessen als auch beim Abendbrot. Die Kommunikation war zum Erliegen gekommen, kaum dass sie wirklich begonnen hatte.
27
Tunlichst vermied man es fortan, Agathas Weg zu kreuzen, geschweige denn, sie anzusprechen. Jeder ging seinen regelmäßigen Beschäftigungen nach, jedes Mal in der Hoffnung, nicht ihrer Böszüngigkeit zum Opfer zu fallen. Dass die Neue an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten kein Interesse mehr hatte und auch sonst kaum aus ihrem Zimmer kam, wurde daher mit Erleichterung aufgefasst.
Verdrießlich hockte Agatha Beinhard in ihrem Zimmer und begann sich, den dritten Tag allein, zu langweilen. Nachdem sie sich aus ihrer alten Thermoskanne einen Kaffee eingeschenkt hatte, setzte sie sich in einen Sessel und dachte mürrisch nach. Über das Leben an sich, das ihr so viel Ungerechtigkeiten beschert hatte, und über die Bewohner von St. Benedikta, die sie nie zu Gesicht bekam. Früher konnte sie sich wenigstens noch ans Fenster setzen und die Nachbarschaft
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