Tee macht tot
kühl und ging voraus, während Ben ihr mit schmerzverzerrtem Gesicht hinterher sah.
Ein kleines bösartiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, das niemand sah, außer den beiden älteren Damen, die im dritten Stock im Aufenthaltsraum standen und aus dem Fenster blickten.
Nur langsam gewöhnten sich Agathas Augen an die Umgebung, als sie durch die automatische Tür in das Foyer trat. Es roch nach Bohnerwachs, den ein vorüberziehendes Männchen auf einem Putzwagen verteilte. Gerade noch im hellen Sonnenschein kam es ihr in dem Eingangsbereich ziemlich düster vor. Fast schon kühl war es hier drinnen.
Langsam fuhr ein elektrischer Rollstuhl, in dem eine wirklich, wirklich alte Frau saß, an ihr vorbei.
Na das kann ja heiter werden! Agatha fiel die Kinnlade herunter. Ein ganzes Haus voller Totgeweihter - und sie mittendrin. Wenn das mal keine Zukunftsaussichten waren, was bitte dann? Langsam schlich sie hinter Ben in Richtung Aufzug hinterher.
Immer wieder lächelte ihr Sohn ihr verkniffen, was sie nicht erwiderte.
Mit dem Lift, der so groß war, dass zwei Rollstühle darin Platz hatten, fuhr sie mit ihrem Sohn schweigend in den dritten Stock.
Das angestrengte Schweigen schien jedoch einzig Ben unangenehm zu sein.
Während er nervös von einem Bein auf das andere trat, begutachtete Agatha ihre Hände. Die vielen vernarbten Brandblasen erzürnten sie.
Verlegen räusperte sich Ben und strich sich durchs Haar. Die Mechanik im Aufzug schien sich genauso langsam zu bewegen wie die Bewohner dieses Hauses. Endlos kam ihm die Fahrt vor.
Agatha starrte weiterhin stumm vor sich hin, so als ginge sie das alles nichts an. Sollte er ruhig merken, was er ihr antat. Eine alte Pflanze versetzte man nicht mehr, hieß es. Sie fühlte sich zwar mit ihren achtundsiebzig noch nicht alt, aber die Pflanzzeit war dennoch vorbei.
„Dritter Stock“, ertönte eine weibliche Stimme überlaut aus einem Lautsprecher.
„Altersgerechte Lautstärke“, versuchte Ben, etwas aufzulockern. Geflissentlich überhörte Agatha den herausgepressten Witz. Für solche Witze hatte sie nichts übrig. Generell hatte sie für gar keine Witze etwas übrig. Wer über Witze zu lachen pflegte, hatte ihrer Meinung nach die Ernsthaftigkeit des Lebens nicht erkannt.
Ohne Zaudern schob sie sich an ihrem Sohn vorbei, um vor der Fahrstuhltür einfach stehenzubleiben. Gerade so, dass sie nicht mehr in der Lichtschranke stand, aber Ben nicht hinaustreten konnte. Leise schlossen sich die Türen vor seiner Nase. Hektisch betätige er die Knöpfe, um die Weiterfahrt zu verhindern. Doch zu spät!
Schadenfroh verzog Agatha den Mund und begann ihre Erkundungstour, während ihr Sohn eine Ehrenrunde mit dem Aufzug hinlegte.
Gerade wollte Agatha einen Blick in den Gemeinschaftsraum werfen, als ihr eine korpulente Frau in den Weg trat.
Eine zweite Person, die im Rollstuhl saß, blieb mitten im Zimmer stehen und starrte sie unverblümt an.
Agatha überlegte, ob sie ihren Weg einfach fortsetzen sollte, entschied sich aber, Ingrids Blick frostig standzuhalten.
Doch Ingrid van Brekelkam hatte nicht vor, sich davon einschüchtern zu lassen. Die Neue war ihr unsympathisch, und dass mit ihr nicht gut Kirschenessen war, hatte sie vom Fenster aus schon sehen können. Aus der Nähe betrachtet, bestätigte sich ihre Meinung. Ihre Menschenkenntnis, von der sie glaubte, allerhand zu haben, riet ihr, auf der Hut zu sein.„Sie wird hier sicherlich nicht viele Freunde finden, wenn sie sich derart benimmt“, tat Ingrid ihre Gedanken kund und bedeutete Agatha mit einem Wink zum Fenster, dass von dort der Parkplatz zu sehen war.
„Glauben Sie ernsthaft, dass mich ihr seltsames Gequatsche beeindruckt?“, ging Agatha in direkte Konfrontation.
„Das war von Ingrid nicht so gemeint“, versuchte Esther, die Neue zu beruhigen. Es wäre doch schade, wenn man sich am ersten Tag schon zanken würde; zu Ingrid gewandt, meinte sie: „Gib ihr eine Chance, Ingrid! Sie muss sich doch erst an die neue Situation gewöhnen.“
„Gewöhnen muss ich mich an gar nichts“, blaffte Agatha und stierte nun in Esthers Augen.
„Natürlich muss man das nicht, aber man tut es trotzdem“, antwortete Esther irritiert, versuchte jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. „Ich bin übrigens Esther Friedrichsen, und das ist Ingrid van Brekelkam.“ Munter streckte Esther ihre Hand aus, um die Neue begrüßen zu können. „Wir haben Sie gerade ankommen sehen. War das Ihr Sohn, der Sie gebracht
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