Teeblätter und Taschendiebe
entdeckten sie die winzige Tür, die ins Untergeschoß führte und nicht nur unterhalb der Straße lag, sondern noch dazu hinter einer Ecke in einem engen Gäßchen versteckt war, das man auf den ersten Blick kaum bemerkte.
»Gut, daß wir heute hergekommen sind«, stellte Sarah fest, während sie versuchte, sich durch die Gasse zu manövrieren, ohne mit ihrer weißen Jacke die schmutzigen Wände zu berühren. »Morgen würde ich wahrscheinlich schon nicht mehr hier durchpassen.«
Max wollte gerade »Vielleicht solltest du auf dem Bürgersteig warten« sagen, als ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, daß Sarah es nicht mochte, wenn er sie zu sehr bemutterte, und beschränkte sich daher auf ein schlichtes »Gib mir beim Runtergehen einfach deine Hand. Die Stufen hat anscheinend ein Zwerg mit Schluckauf angelegt.«
Wenigstens waren sie nicht umsonst gekommen. Der Hausmeister hatte gerade die Tür geöffnet, veranstaltete einen Heidenlärm mit den Mülltonnen und schien gegen eine kleine Unterbrechung seiner unangenehmen Tätigkeit nichts einzuwenden zu haben. Max eröffnete das Gespräch.
»Mein Name ist Max Bittersohn, und das ist meine Frau.«
»Ach ja? Ich heiß' Montmorency. Und was zum Teufel wollen Sie von mir?«
»Wir kommen vom Senior Citizens' Recycling Center, Mr. Montmorency. Es geht um Chet Arthur. Man hat uns gesagt, er sei Ihr Untermieter gewesen. Ich vermute, Sie haben schon gehört, was ihm letzte Nacht zugestoßen ist?«
»Allerdings. Die Bullen haben mich geweckt. Stimmt. Chet hat bei mir gewohnt - mal überlegen, seit wann. Also, ich bin hier in dem Jahr eingezogen, als Kennedy ermordet wurde.«
»Also 1963«, sagte Max. »Ist Arthur im gleichen Jahr eingezogen?«
»Nee, erst in dem Jahr, als auf George Wallace geschossen wurde. 1972 war das. Wissen Sie, die Wohnung is' frei geworden, als der Kerl, der hier vorher gewohnt hat, bei 'nem Raubüberfall abgeknallt wurde. Da hab' ich mich um die Stelle beworben.«
»Verstehe«, sagte Max. »Und wie kam es, daß Chet Arthur hier eingezogen ist?«
»Das wollte ich Ihnen ja grade erzählen.« Der Hausmeister klang ein wenig beleidigt. »Also, das war so: Ich war in der Kneipe unten in der Charles Street, und es lief grade ein Film über die Ermordung von Abe Lincoln. Ich sitz' also da und schau mir den Film an, und Chet sitzt zufällig neben mir. Wir kommen ins Gespräch, stellen uns vor und so. Chet erzählt mir, das Haus, in dem er wohnt, seit der Kerl damals versucht hat, Präsident Truman umzulegen und dabei den Falschen erwischt hat, soll abgerissen werden, wegen Stadtsanierung, und dann fragt er mich, ob ich nich' 'ne Wohnung für ihn weiß. Aber billig muß sie sein.«
Mr. Montmorency rüttelte an einer der Mülltonnen. »Ich hab' gedacht, was soll's, ein paar Dollar mehr im Monat kann ich gut brauchen. Also sag' ich, klar, du kannst eins von meinen Zimmern haben. Weil ich nämlich zwei hab', wissen Sie. Aber ich brauch' eigentlich nur eins, weil ich nämlich jemand bin, der gern auf Achse is'. Ich halt' mich hier nie länger als notwendig auf. Und teuer is' es auch nicht, weil ich nämlich als Hausmeister keine Miete zahle, aber das hab' ich Chet natürlich nich' auf die Nase gebunden. Also is' er eingezogen, wir sind gut miteinander ausgekommen, und deshalb is' er auch nich' wieder ausgezogen.«
»Dann waren sie wohl gute Freunde«, meinte Sarah.
»Nee. Wir ham uns zwar ganz gut verstanden, wissen Sie, aber Chet war nie gesellig oder so. Er is' zwar manchmal samstagsabends mit mir in die Eckkneipe gegangen, und wir haben zusammen Bier getrunken, aber die meiste Zeit hat er in seinem Zimmer gehockt und sich im Fernsehen Boxkämpfe angesehen oder die alten Zeitschriften gelesen, die unsre Mieter so wegschmeißen. Mir war völlig schnurz, was er gemacht hat. Seine Miete hat er immer pünktlich bezahlt und genervt hat er mich auch nie. Alles andere is' mir egal. Ich hab' schon genug Ärger mit den Spinnern oben im Haus.«
»Aber Sie möchten sicher wissen, wann die Beerdigung stattfindet.«
»Wieso? Er is' ja schließlich nich' erschossen worden, sondern bloß überfallen. Ich bin diese Woche mit Flurputzen dran, und Chets Zimmer muß ich auch noch leerräumen. Ich hab' in der Kneipe jemanden kennengelernt, der immer noch 'ne Kugel im Leib hat. Er war früher mal Fahrer bei 'nem Gangsterboß. Und der will jetzt hier einziehen.«
»Dann sind Sie ja geradezu füreinander geschaffen«, sagte Max. »Vielleicht können wir Ihnen ein wenig
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