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Teeblätter und Taschendiebe

Titel: Teeblätter und Taschendiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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schicken Haarschnitt oder mit anderen Dingen, die sie sonst gerade dringend brauchte. Dolph war zu clever, als daß er den Mitarbeitern die niedrigen Sätze gezahlt hätte, die nach dem schmalen Budget des Centers möglich gewesen wären, um erst gar nicht in Konflikt mit den herrschenden Arbeitgeberbestimmungen zu kommen. Die Personen, die für das Center arbeiteten, waren mit dem Arrangement zufrieden. Wer lieber für Geld arbeitete, konnte es sich verdienen, indem er Leergut oder andere recycelbare Wertstoffe für das Center sammelte. Die meisten Mitglieder taten ein bißchen von beidem.
    Ein Teil von Lovedays Arbeit bestand vermutlich darin, sich um die Dienstpläne der freiwilligen Helfer zu kümmern. Bestimmt benutzte er Stempel für ihre Arbeitsnachweise. Mr. Loveday hatte immer schon eine ausgesprochene Schwäche für Stempel gehabt. Sarah erinnerte sich noch genau, wie fasziniert sie als Kind von den Stempelhaltern auf seinem Schreibtisch gewesen war. Ihre Eltern hatten sie häufig zu Großonkel Fredericks Büro hinter dem State House mitgenommen. Sie hatten stets darauf bestanden, daß sie die Hälfte ihres wöchentlichen Taschengeldes von zehn Cent sparte, damit sie so früh wie möglich die typische Neuengland-Tugend der Sparsamkeit erlernte. Wenn sie genug gespart hatte, daß sich der Ausflug lohnte, gewährte man ihr das besondere Privileg, ihre Er-sparnisse zu Mr. Loveday zu bringen und für einen der wohltätigen Zwecke zu spenden, die Onkel Frederick gerade unterstützte. Damit wollte man ihr die ebenfalls überaus wichtige Tugend der tätigen Nächstenliebe nahebringen, die für die sogenannten Bostoner Brahmanen, die priviligierte, alteingesessene Oberschicht, typisch war.
    Von den Erziehungsmethoden ihrer Eltern hatte Sarah nie viel gehalten, aber besonders geärgert hatte sie sich immer darüber, daß Mr. Loveday ihr niemals erlaubte, mit seinen Stempeln zu spielen. Sie hatte zwar nie protestiert, weil sich dies für brave Kinder nicht gehörte, aber insgeheim hatte sie schwer gelitten.
    Tatsächlich drückte Mr. Loveday gerade hingebungsvoll einen Stempel auf ein Dokument, wie immer mit einer gezierten Handbewegung und abgespreiztem kleinen Finger. In seinem Glaskasten erinnerte er Sarah frappierend an einen Goldfisch. Es war zweifellos sinnvoll, daß er einen abgetrennten Bereich besaß, in dem er ungestört arbeiten und gleichzeitig alles sehen konnte, was um ihn herum vorging, aber Sarah wußte genau, daß der alte Pedant vor allem deshalb auf einem eigenen Arbeitplatz bestanden hatte, weil ihm die Nähe der Personen, denen er seine Tätigkeit für die Kellings verdankte, mehr als unangenehm war.
    Den Mitgliedern war dies bestimmt nicht entgangen. Sarah fragte sich, wie Mary es bloß schaffte, daß alles so friedlich vonstatten ging, aber Mary war eben ein Genie.
    Natürlich wurden Sarah und Max neugierig gemustert, als sie das Center betraten. Die Dame, die heute die Betreuung der Gäste übernommen hatte, eilte sofort auf sie zu, um sie zu begrüßen. Mr. Loveday verließ augenblicklich sein Aquarium, um ihr zuvorzukommen, doch Sarah trickste ihn aus, indem sie der Frau zuerst die Hand reichte.
    »Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht mehr an mich. Ich bin Sarah Bittersohn, eine Cousine von Dolph, und das ist mein Mann. Wir sind nur vorbeigekommen, um Ihnen allen unser Beileid zum Tod von Mr. Arthur auszusprechen. Wir waren gestern abend zufällig bei Dolph und Mary zu Besuch, als sie die Nachricht erhielten. Wie furchtbar, daß so etwas passieren konnte.«
    Die Frau sagte, das finde sie auch, bedankte sich für ihr Kommen und erkundigte sich, ob sie ihnen vielleicht eine Tasse Kaffee anbieten dürfe.
    »Ja selbstverständlich bringen Sie Kaffee.«
    Osmond Loveday ließ sich die Sache nicht aus der Hand nehmen. »Bitte«, fügte er mit einem professionellen Lächeln hinzu, weil ihm gerade noch rechtzeitig eingefallen war, daß er im Verhalten gegenüber den sozial Benachteiligten zur Vorbildhaftigkeit verpflichtet war.
    »Sieh mal einer an, die kleine Sarah Kelling. Ich erinnere mich noch, als sei es gestern gewesen.« Er erläuterte nicht näher, an was er sich so gut erinnerte. »Haben Sie den Brief erhalten, den ich Ihnen anläßlich Ihres tragischen Verlustes geschrieben habe?«
    »Es war wirklich sehr nett von Ihnen, mir damals zu schreiben«, sagte Sarah höflich. »Mr. Loveday, darf ich Sie mit meinem Gatten Max Bittersohn bekannt machen.«
    Loveday warf ihm einen interessierten

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