Teeblätter und Taschendiebe
brauchen nur zu beoachten, wie viele Personen mit lila Kleidung das Center verlassen.«
»Richtig«, sagte Max. »Man könnte sich beispielsweise als Wasserhydrant tarnen, auf den Bürgersteig stellen und sie zählen, wenn sie an einem vorbeigehen.«
»Wie plump, mein Junge. Ich vermute, du konzentrierst dich lieber auf das Center selbst und suchst dort nach dem faulen Apfel im Korb.«
»Annie«, sagte Sarah bedrückt.
»Sehr richtig«, sagte Brooks. »Die busenfeindliche Ex-Serviererin aus dem >Broken Zippen mit den langen Fingern.«
»Dafür gibt es keine Beweise, das war nur Theonias Eindruck«, erinnerte ihn Sarah, obwohl sie gestern mit eigenen Augen gesehen hatte, wie geschickt Annie im Restaurant den Zucker hatte verschwinden lassen. »Ich hätte sie nicht erwähnen sollen. Der Name ist mir nur zufällig in den Kopf gekommen.«
»Dafür gibt es sicher gute Gründe«, meinte ihr Cousin. »Sie hält sich schließlich viel im Center auf, oder nicht? Betreut die Mitglieder oder wie man das nennt. Auf die Art lernt sie alle ziemlich gut kennen, und die Farbe Lila kann sie bestimmt auch problemlos erkennen.«
»Lila ist ihre Lieblingsfarbe.«
»Warum klingst du denn so bekümmert? Teufel noch eins, Sarah, wenn wir jetzt anfangen, parteiisch zu werden, kommen wir überhaupt nicht weiter. Max, wissen wir schon etwas über die Lasterhöhle, in der sie früher gearbeitet hat?«
»Noch nicht, aber ich habe bereits einen meiner Geheimagenten auf den Laden angesetzt.«
»Hervorragend. Wann rechnest du mit seinem Bericht?«
»Jede Minute. Er hat gesagt, er kommt vorbei.«
»Um wen handelt es sich denn? Oder ist das auch streng geheim?« fragte Sarah.
»Es ist ein alter Freund von dir.«
»Max, doch wohl nicht dieser schreckliche Bob Dee?«
»Den kannst du getrost vergessen. Letzten Informationen zufolge hat sich Dee als Gebrauchtwagenhändler in Phoenix niedergelassen.«
»Menschenskind«, sagte Brooks, »du bist ja wirklich auf dem laufenden.«
»Man kann nie wissen, ob man diese Informationen nicht eines Tages braucht. Etwa die Tatsache, daß Annie eine Vorliebe für Lila hat. Wie hast du das überhaupt herausgefunden, Sarah?«
»Ganz zufällig, soweit ich mich erinnere. Wir haben uns darüber unterhalten, wie wir die Zimmer in dem neuen Wohnheim streichen sollen.«
»Hat Mary dich mitgenommen und dir das Lagerhaus gezeigt?«
»Nein, hat sie nicht. Ich weiß nicht mal, wo es ist. Du, Brooks?«
»Selbstverständlich.« Ihr Cousin zog einen Stadtplan von Boston aus der Tasche und breitete ihn vor ihr aus. »Siehst du? Genau hier.«
»Aber das ist ja direkt am Hafen«, wunderte sich Sarah. »Ist es da im Winter nicht viel zu kalt für die alten Leutchen?«
»Verrat mir mal, wo es im Winter nicht kalt ist. Stell dir lieber vor, wie angenehm es dort im Sommer sein wird.«
»Ich kann mir noch ganz andere Sachen vorstellen«, sagte Max. »Hat es gerade an der Tür geklingelt?«
Es klingelte erneut, wenn auch kaum hörbar. Max grinste, begab sich zur Tür, drückte sich flach gegen die Wand und öffnete die Tür mit dem Fuß. Sarah starrte entgeistert, schnappte nach Luft und mußte dann ebenfalls lächeln. Brooks schaute verwirrt von einem zum anderen. Auch als der hagere, dunkle Schatten, der einen dreckigen Regenmantel, eine schmutzige Hose aus dünnem Baumwollstoff, Mokassins und trotz des empfindlich kühlen Spätherbstabends keine Socken trug, eng an die Wand gepreßt
ins Zimmer glitt, hatte Brooks immer noch keine Ahnung, wer der Fremde sein könnte.
»Bill Jones!« Sarah eilte mit ausgestreckter Hand auf den Schatten zu. »Was für eine nette Überraschung.«
»Ja-ha«, erwiderte der Mann leise und murmelte dann vertraulich »hallo, Sarah.«
»Darf ich Sie mit meinem Cousin Brooks Kelling bekanntmachen? Brooks, erinnerst du dich noch an Bill Jones? Er hat uns damals bei der Wilkins-Sache* (* »Madame Wilkins' Palazzo«, DuMont's Kriminal-Bibliothek Band 1035 )
sehr geholfen.«
»Und ob ich mich erinnere! Obwohl ich glaube, wir haben uns nie persönlich kennengelernt. Ist mir ein großes Vergnügen!«
Bill Jones erlaubte ihm, seine winzige Hand zu drücken. Er ging zwar nicht so weit zu sagen, daß es auch für ihn ein großes Vergnügen sei, doch der Ausdruck seiner dunklen Augen und das kurze Aufblitzen seiner überaus gepflegten Zähne schienen etwas in dieser Richtung anzudeuten, bevor sein durchaus attraktives Gesicht wieder den üblichen Ausdruck gespannter Wachsamkeit annahm. Brooks,
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