Tegernseer Seilschaften
zum nahe gelegenen Edeka gehen und Salat, Milch und Lisas Lieblingskabanossi kaufen. Dann schloss sie das Fenster und ging zur Tür. »Wo gehtâs hier in den Stall?«
Verdattert raffte Evi Fichtner sich auf und deutete nach rechts in den dunklen Flur. Wieder muhte eine Kuh.
»Jetzt wirdâs aber Zeit zum Melken ⦠es ist ja auch schon spät«, sagte die Bäuerin, als sie vor Anne den Flur entlangschritt. »Und wenn man zu lang wartet, dann drückt die Milch denen so im Euter, dass sie glauben, dass er platzt. Deswegen schreien die jetzt so. AuÃerdem habenâs Hunger.« Rasch schlüpfte sie in die Gummistiefel, die neben der zum Stall führenden Tür standen. Anne befand sich nun auf der zweiten Stufe ihrer Vernehmungstaktik: In Sicherheit wiegen und aus der Reserve locken.
Ein paar Minuten später kniete die Bäuerin neben einer Kuh und schloss die Schläuche der Melkmaschine an, während Anne mit einer Heugabel das Heu an die Kühe verteilte. Während die Melkmaschine das erste Euter leer sog, stellte sich Evi Fichtner neben Anne, die innehielt.
»Sie sind fei schon eine komische Kommissarin.«
»Ich bin gar keine Kommissarin, nur Hauptmeisterin. Kommissar, das ist was Höheres.«
»Ich habâ Sie aber in Tegernsee noch nie gesehen.«
»Ich habe ja auch erst vorgestern hier angefangen, bei der Inspektion in Bad Wiessee. Aber wohnen tuâ ich hier in Tegernsee.«
»Aha«, sagte Evi Fichtner, »und wo da?«
»SchwaighofstraÃe, zwei Häuser neben diesem neuen Hotel mit der Bar im Boot vorn dran.«
»Bei der Villa? Direkt beim Malerwinkel? Das ist aber eine noble Adresse!«, sagte Evi Fichtner. »Kann sich das eine Polizistin denn leisten?«
»Nein, natürlich nicht, das Haus gehört den Eltern von meinem Freund. Wir dürfen da jetzt erst einmal wohnen. Aber es ist da unten nicht so ruhig wie hier bei Ihnen oben. Ich denke, wir werden uns vielleicht bald etwas Ruhigeres suchen, das nicht direkt am See liegt.«
»Ja, ruhig ist es hier oben schon. Wenn ichâs mir aussuchen müsstâ, tätâ ich auch wieder hierherauf ziehen. Wissen Sie, mein Mann war in letzter Zeit oft weg.« Anne schaute wegen des plötzlichen Themenwechsels überrascht auf, doch Evi Fichtner schien dies gar nicht zu bemerken, sondern fuhr gedankenverloren fort: »Er ist geschäftlich unterwegs gewesen, hat er gesagt, wenn ich gefragt habâ, wo er denn wieder war. Aber das waren oft mehrere Stunden oder halbe Tage. Und da habâ ich mich immer gefragt, was er denn jetzt da geschäftlich zu tun haben will, wo sein Geschäft doch hier ist, bei mir, im Bauernhof.«
Während die Pumpgeräusche der Melkmaschine zu vernehmen waren, schob Anne scheinbar beiläufig mit ihrem Fuà einer Kuh einen Haufen Heu hin. Unter allen Umständen wollte sie den Eindruck vermeiden, dass sie hier gerade an einer wichtigen Stelle ihres Gesprächs angelangt waren. Dabei kam ihr entgegen, dass sich nach dem Verteilen des Heus im Stall eine entspannte Atmosphäre ausbreitete, da die Kühe mit zufriedenem Wiederkäuen beschäftigt waren.
»Haben Sie ihn denn mal gefragt, was er da so macht, wenn er geschäftlich unterwegs ist?«
Evi Fichtner sah Anne an, als wäre das eine ziemlich abwegige Idee, und sagte dann bestimmt: »Nein, natürlich nicht.« Dann haute sie der Kuh, die gerade an der Melkmaschine hing, auf den Hinterschenkel, doch die Kuh machte erst Platz, als Evi Fichtner sich mit ihrem ganzen Körper gegen das Tier stemmte. Die Bäuerin war eine starke Frau. Nun kniete sie sich nieder, überprüfte die Melkmaschine, stand wieder auf und sagte, Anne den Rücken zugewandt: »Aber diese Geschäfte von meinem Mann müssen teuer und wenig erfolgreich gewesen sein.«
Anne wartete kurz und fragte, als nichts mehr folgte: »Inwiefern?«
Evi Fichtner drehte sich zu ihr um und sagte empört: »Ja, weil auf einmal das ganze Geld weg war! Vom Girokonto, vom Sparkonto, das hat er alles mit der Zeit leer geräumt.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und dann hängt der sich auch noch auf, der Sauhund, und lässt mich hier sitzen, mit der ganzen Arbeit, der schweren!«
Anne musste sich konzentrieren, um sich ihr Erstaunen über die Tatsache, dass Evi Fichtner ihren Mann eben einen »Sauhund« genannt hatte, nicht anmerken zu
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