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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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eine schwere Erschütterung zugefügt.
    Â»Frau Fichtner, es tut mir so leid, dass ich Sie bitten muss, mit mir noch einmal über den Tod Ihres Mannes zu sprechen. Ich halte das für absolut notwendig, weil es Ungereimtheiten gibt. Und erlauben Sie mir diese persönliche Anmerkung: Ich weiß, wie es sich anfühlt, einen Menschen, der einem wichtig ist, zu verlieren. Ich kenne den Schmerz. Ich habe meinen Vater verloren, da war ich gerade mal zwölf.« Anne schwieg kurz und blickte durch die alten Sprossenfenster nach draußen, wo Bernhard und Lisa jetzt einbeinig durch die vom Schmelzwasser feuchte Wiese hüpften, dass es nur so spritzte. Wahnsinn, wie ähnlich Lisa Annes verstorbenem Vater sah! Annes höchstes Ziel war es zu verhindern, dass Lisa ein ähnliches Schicksal wie sie oder ihr Vater erleiden musste. Lisa sollte unbeschwert, selbstbestimmt und vor allem frei von jeglicher Gewalt leben. Manche Männer waren einfach Schweine.
    Â»Also, was ich damit sagen möchte, Frau Fichtner: Sie können sich auf mich verlassen. Ich weiß, wie weh es tut, wenn man einen Menschen verliert, und ich möchte alles dafür tun, dass Sie nicht noch mehr verletzt werden.« Erneut machte sie eine Pause. »Aber dieses eine Gespräch über den Tod Ihres Mannes müssen wir noch führen.« Mit offenem Blick aus ihren großen blauen Augen sah sie ihr Gegenüber an. »Sind Sie bereit?«
    Evi Fichtner nickte. Ihre Hand blieb ruhig und trocken unter Annes liegen. In der Stille war einzig das Muhen einer Kuh zu hören, und Anne nahm auch den Stallgeruch wahr, der über allem schwebte. Irgendwo im Haus brummte ein altersschwacher Kühlschrank oder ein anderes, nicht mehr ganz neues elektronisches Gerät.
    Â»Frau Fichtner, hatte Ihr Mann irgendeinen Grund, sich das Leben zu nehmen?«
    Evi Fichtner zuckte mit den Schultern, ihr Blick blieb dabei auf die Tischplatte gesenkt.
    Anne war von Nonnenmacher bereits darauf vorbereitet worden, dass sie es bei den Tegernseern erst einmal nicht leicht haben würde, denn, so hatte Nonnenmacher doziert: »Der Tegernseer Ureinwohner ist kein Mensch großer Worte. Er sagt nur, was er muss, vor allem, solang er einen nicht kennt.« Der Tegernseer sei am Anfang ein abwartender Gesprächspartner. Wenn man ihn dann aber mal habe, so Nonnenmacher, dann habe man ihn. Anne, die aus dem für ihren Geschmack eine Spur zu oberflächlichen und plauderfreudigen Rheinland kam, empfand das als durchaus angenehm.
    Doch hier ging es um einen Bauern, der eines scheußlichen Todes gestorben war. Und es konnte nicht sein, dass die Frau, die ja wohl irgendetwas wissen musste, dieses Wissen aus tegernseerischer Mundfaulheit für sich behielt. Ruhig fragte sie deshalb: »Frau Fichtner, wie lange waren Sie verheiratet?«
    Â»Ich hab’ meinen Mann geheiratet, da war ich dreiundzwanzig.« Erneutes Schweigen.
    Â»War Ihre Ehe glücklich?«
    Jetzt erwachte Evi Fichtner so plötzlich zum Leben, dass Anne fast erschrak. Als wäre in die grauhaarige Bäuerin der Blitz gefahren, fuhr sie auf, fixierte dann Anne mit festem Blick und fragte vorwurfsvoll: »Was ist das für eine Frage? Was ist für Sie ein glückliches Leben? Wir sind hier so mit die Letzten in Tegernsee, die nur von der Landwirtschaft leben. Da kann man nicht reich werden. Schauen’s sich doch an, mit was man hier zu was kommt. Wir hätten hier schon viel früher ein Hotel draus machen sollen. In den Achtzigern konnte man damit Geld scheffeln, das sag’ ich Ihnen. Aber mein Mann, der sture Hund, der wollte ja nicht einmal beim Urlaub auf dem Bauernhof mitmachen. Dabei ist das ein Trend, der wo jetzt sehr gut geht.«
    Â»Haben Sie Geldprobleme?«, fragte Anne leise.
    Â»Jetzt nicht direkt.« Nach einer kurzen Pause fügte Evi Fichtner hinzu:»Wir brauchen ja nicht viel.«
    Wieder muhte eine Kuh.
    Â»Ich muss jetzt in den Stall, die Kühe melken.« Die Bäuerin hatte das Fenster zu ihrer Seele, das einen Spaltbreit aufgegangen war, wieder verschlossen. Doch Annes »Ich komme mit« war kaum ausgesprochen, da ging es wieder auf.
    Â»In den Stall?«, fragte die Bäuerin überrascht.
    Â»Ja, warum denn nicht? Ich helfe Ihnen auch. Warten Sie einen Moment, ich sag’ nur meiner Tochter und meinem Freund Bescheid.« Anne stand rasch auf, öffnete das Fenster und rief Bernhard und Lisa zu, sie sollten noch

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